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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihm nun ein halb verklemmtes, halb scheues Lächeln zuwirft.
    »Mein Gott«, sagte sie, es war nicht nur herzlich, sondern die Wahrheit: »Die Anni! – Du bist ja eine richtige Frau geworden …«
    Sie wanderten sehr langsam zurück. Die schweren weißen Wolken, die sie von der Sägerei aus schon über dem See beobachtet hatte, standen nun dunkel gefärbt und schwarz und drohend vor einem grauen Himmel.
    Langsam schlenderten sie dahin, und Ludwig blickte über die Schulter zurück – nein, es war niemand im Wald und niemand auf dem Weg, und so legte er seinen Arm um sie, und sie spürte den Druck seiner Hand, die sie näherziehen wollte und doch nicht den Mut dazu hatte.
    Es geschah bereits an der Kurve, dort, wo der Wald sich zu den Wiesen öffnete.
    Er blieb stehen, wie erstarrt, die Hand fiel herab, und er drängte sie so heftig zur Seite zwischen die Stämme, daß sie stolperte.
    »Sag mal, was ist denn in dich …«
    »Hast du nicht gesehen?«
    »Was soll ich gesehen haben?«
    »Polizei. Ein Polizeiauto …«
    Sie wollte zurücklaufen, um selbst nachschauen zu können, doch er riß sie an der Hand noch tiefer in den Wald. Gebückt lief er zwischen Farnen und Stämmen, zog ein paar Zweige zur Seite – und da sah es auch sie.
    Die weiße Lackierung, der rote Streifen an der Seite, die schwarze Schrift – POLIZEI – so deutlich, daß man sie selbst von hier oben lesen konnte.
    Der Streifenwagen stand unten vor dem Kofler-Hof, doch mit der Schnauze in Richtung der Fahrstraße, die hinauf zu ihnen, zum Schafbach-Haus führte …
    »Die holen uns, Isa …« Er brachte keine Sätze zustande, es war nichts als ein Würgen. »Die wollen mich …«
    »Sei doch ruhig.«
    »Nein, wirklich, Isa! Du weißt es auch … Die wollen mich, die wollen uns …«
    »Ludwig!«
    Sie kamen wieder, die Tränen, die über sein Gesicht rannten, da war wieder das Schluchzen, so hilflos, kein Aufbegehren, nichts als Hilflosigkeit und namenlose Angst.
    »Mein Gott, die wollen doch nur was vom Franz … Bestimmt haben sie auf dem Hof zu tun, Ludwig. Das heißt doch noch lange nicht …«
    »Doch …! Doch, doch!«
    »Ach was.«
    »Ich weiß es, Isa, ich weiß es …«
    Was sollte sie tun? Sein zerrissenes, gequältes Gesicht, die Augen, aus denen tiefste Verzweiflung sprach, diese durch nichts zu kontrollierende Panik – ja, was …? Ihn trösten? Und da war es wieder, dieses Gefühl, der einzige Mensch auf dieser Welt zu sein, der Hilfe geben konnte.
    Sanft drückte sie ihn ins Laub zurück, sprach leise auf ihn ein wie auf ein Kind und beobachtete, wie seine Angst abebbte.
    »Isa … sie holen auch dich …« Es war nur noch ein Flüstern.
    »Nein, Ludwig – nein.« Sie drückte ihre Stirn gegen seine Stirn, ihre Hände streichelten die Schultern, die Arme – die Welt war so grau geworden, viel dunkler als zuvor.
    »Isa?« flüsterte er.
    Es geschah, ohne daß sie auch nur einen Gedanken fassen konnte. Er umklammerte sie, nicht heftig, es war auch kein Umfangen aus Angst und Furcht, es waren zwei Körper, die sich suchten, weil sie sich Trost geben wollten … Sie spürte seine Hände auf ihrem Rücken, die Finger auf ihrer nackten Haut, nicht nur die Furcht, auch die Welt, die Gegenwart, die Zeit schien der Wind fortzutragen, der über ihnen an den Ästen riß.
    »Isa, nicht wahr, wir – wir, wir …«
    »Ja – wir!«
    Tropfen fielen durch die Zweige, trafen ihre nackten Schultern, die nackten Brüste, die Beine – längst hatten sie alle Kleider abgeworfen. Sie sah ihn an, so viel Zärtlichkeit war in seinem Gesicht, so viel Hingabe, so viel Suchen, alle Schranken, Mauern schienen zu zerbrechen, und nun, nun wußte sie, was er gemeint hatte, wenn er sagte, ich kann nicht davon reden, es war wie eine Explosion …
    Doch nicht einmal dieser Gedanke brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Nie in ihrem Leben hatte sie soviel aufmerksame, hingegebene Zärtlichkeit erlebt wie in diesen Minuten unter einem Himmel, der seinen Regen über ihnen ausgoß.
    »Oh, Isa!« flüsterte er später an ihrer Brust. »Ich kann dir nicht sagen …«
    »Du sollst es auch nicht.« Sie legte ihm die Hand auf den Mund. Sie zogen sich an und gingen zum Waldrand. Das Auto dort unten war verschwunden …
    Der Regen hatte nur kurz gedauert, doch die Wolken blieben, und in der Nacht brach das Gewitter los …
    Engumschlungen lagen sie im Bett. Sie hatten sich nicht mehr geliebt, sie lagen nur da, und sie suchte ihm das zu geben, was er sich so lang ersehnt
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