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Der letzte Bissen

Der letzte Bissen

Titel: Der letzte Bissen
Autoren: Leo P. Ard
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1.
     
    Das Messer war sehr scharf. Die dünne Schale des Kürbis hatte der Schneide keinen Widerstand entgegenzusetzen, der Kürbis fiel unter den blitzschnell ausgeführten Hieben auseinander und gab den Blick auf sein Innenleben frei, hellbraune Kerne, sämige Fäden und hellrotes Fruchtfleisch. Mit einem Löffel kratzte der Koch die Kerne heraus und schaute hoch.
    Grieser nickte ihm anerkennend zu. Er saß an einem Zweiertisch, der ganz in der Nähe der offenen Küche stand, und nippte an seinem Drink. Kürbiskerne seien gut gegen Prostataerkrankungen, hatte er mal gelesen. Nicht sein Thema. Er war erst Mitte dreißig und da unten lief bisher alles glatt.
    Am Nebentisch wurde es laut. Ein Mann mit grauen Schläfen und gepunkteter Krawatte beschwerte sich, dass die >Essenz von dem Erdapfel mit glasierten Maronen< nicht heiß genug sei.
    »Von einem Zwei-Sterne-Restaurant kann man das doch wohl erwarten«, ereiferte sich der Krawattenmann, der wohl seiner jungen, blonden Begleiterin imponieren wollte.
    Der Blonden schien das Auftreten ihres Gegenübers peinlich zu sein. Als sie Griesers Blick bemerkte, zuckte sie entschuldigend die Schultern. Der Kellner räumte mit einer unterwürfigen Geste die Suppenteller ab.
     
    Die Artischocke war eines der besten Restaurants in Berlin und abends auf Wochen im Voraus ausgebucht. Wer es schaffte, hier unangemeldet einen Tisch zu bekommen, hatte es geschafft. Ohnehin las sich die Gästeliste wie das Who’swho der Berliner Republik.
    Auch Grieser verkehrte regelmäßig in dem Feinschmeckertempel, trotz der astronomischen Preise und obwohl er sich nicht viel aus dem Gemüse-Ikebana machte.
    Der Koch warf die Kürbisstücke in einen Topf mit Gemüsebrühe, gab frischen Thymian dazu und den Inhalt diverser Fläschchen mit Ölen. Dabei lächelte er geheimnisvoll. Grieser interessierte nicht die Bohne, welche Rezeptur das geschmacksneutrale Kürbisfleisch zu einer wohl schmeckenden Suppe werden ließ. Er kochte nie selbst.
    Der Kellner trat an seinen Tisch. »Herr Wollweber wird Sie nun empfangen.«
    Grieser schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. Zwanzig Minuten wartete er schon. »Was kostet der Drink?«
    »Geht aufs Haus!«
    Grieser erhob sich, der Koch nickte ihm zu, als hätten sie als Kinder zusammen Pferde gestohlen. Der Nörgler am Nebentisch trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte, die Blonde ergriff seine Hand, nicht aus Zärtlichkeit, sondern aus Scham.
    Grieser folgte dem Kellner zu einem Fahrstuhl, der die beiden in Sekundenschnelle über die Dächer der Stadt katapultierte.
    Sie stiegen in der 22. Etage aus und gingen einen langen Gang entlang, der an einer Tür mit der Aufschrift Privat endete. Der Kellner klopfte kurz an die Holztür, drückte die Klinke herunter und forderte Grieser mit einer Geste auf, einzutreten.
    In dem holzvertäfelten Raum stand ein runder Tisch, der für eine Person eingedeckt war. In einer Vitrine an der Wand lagerten Pokale und andere Preise, die die Artischocke für ihre hervorragende Küche erhalten hatte. Der Kellner verschwand wieder. Grieser war allein in dem Raum und auf einmal schüttete sein Körper literweise Adrenalin aus. Sein Herz pochte wie verrückt, eine Gänsehaut kroch ihm über den Rücken, sein Mund wurde trocken.
    Er versuchte, sich zu beruhigen, indem er an die Vitrine trat und die Auszeichnungen begutachtete. Es wird schon alles klappen, sagte er sich. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Was sollte ihm schon passieren?
    »Das ist längst noch nicht alles!«, hörte er eine tiefe Stimme hinter sich. Grieser federte herum. Günther Wollweber fuhr auf ihn zu. Der alte Mann saß in einem weißen Rollstuhl, er trug einen weißen Anzug, weiße Socken und weiße Schuhe.
    »Wenn es Sie interessiert, kann mein Sohn Ihnen die übrigen Belobigungen ebenfalls zeigen. Sie kennen ihn ja bereits, meinen Sohn Boris!«
    Aus der geöffneten Tür zu einem angrenzenden Raum trat Boris Wollweber und nickte Grieser lächelnd zu. Boris war fast im gleichen Alter wie Grieser, allenfalls zwei, drei Jahre älter. Wie sein Vater trug Boris einen kurz geschorenen Bart, der natürlich nicht ergraut war wie bei dem Alten. Die Ähnlichkeit von Vater und Sohn war frappierend, die gleiche hohe Stirn, die spitze Nase, die braunen Augen.
    Der Mann im Rollstuhl streckte seinem Besucher die Hand hin. Grieser ergriff sie, Wollwebers Händedruck war kraftlos.
    »Schön, dass Sie Zeit für mich haben, Herr Wollweber. Es ist mir eine
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