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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin
Autoren: Tess Gerritsen
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seiner furchtbaren Exzision fertig war, lebte sie immer noch. Die Wunde in ihrem Becken blutete weiter, das Herz pumpte. Wie lange? Dr. Tierneys Schätzung zufolge wenigstens eine halbe Stunde. Dreißig Minuten, die Elena Ortiz wie eine Ewigkeit vorgekommen sein mussten.
    Was hast du während dieser Zeit gemacht? Deine Instrumente verstaut? Deine Trophäe eingepackt? Oder hast du nur dagestanden und den Anblick genossen?
    Der letzte Akt vollzog sich schnell und mit kühler Effizienz. Elena Ortiz’ Peiniger hatte sich genommen, was er wollte, und nun war es an der Zeit, das Unternehmen zum Abschluss zu bringen. Er war ans Kopfende des Betts getreten. Mit der linken Hand hatte er in ihre Haare gegriffen und ihren Kopf ruckartig nach hinten gezogen; so heftig, dass er über zwei Dutzend Haare ausgerissen hatte. Man hatte sie später auf dem Kopfkissen und dem Fußboden verstreut gefunden. Die Blutflecken kündeten von der letzten Untat. Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass sie den Kopf nicht mehr bewegen konnte und ihr Hals ungeschützt dalag, hatte er einen einzigen tiefen Schnitt vollführt, der vom linken Ansatz des Unterkiefers nach rechts quer durch die Kehle führte. Er hatte die linke Halsschlagader und die Luftröhre durchtrennt. An der Wand links vom Bett waren dichte Haufen kleiner, kreisförmiger Tropfen zu sehen, die nach unten flossen – charakteristisch für Blut, das aus Arterien spritzte, wie auch für die Ausatmung von Blut durch die Luftröhre. Kopfkissen und Betttücher waren von dem herabgeflossenen Blut durchtränkt. Mehrere verstreute Spritzer, die von der Ausholbewegung des Täters mit der Klinge des Skalpells stammten, hatten das Fensterbrett benetzt.
    Elena Ortiz hatte noch lange genug gelebt, um ihr eigenes Blut aus ihrem Hals spritzen und wie eine rote Maschinengewehrsalve an die Wand klatschen zu sehen. Sie hatte lange genug gelebt, um durch ihre durchtrennte Luftröhre Blut einzuatmen, es in ihren Lungen gurgeln zu hören und es krampfartig in Schwallen hellroten Schleims auszuhusten.
    Sie hatte lange genug gelebt, um zu wissen, dass sie sterben würde.
    Und als es vollbracht war, als ihr Todeskampf vorüber war, da hast du uns eine Visitenkarte hinterlassen. Du hast das Nachthemd des Opfers sorgfältig zusammengefaltet und auf der Kommode liegen lassen. Warum? Ist das irgendeine perverse Geste des Respekts gegenüber der Frau, die du gerade abgeschlachtet hast? Oder ist es deine Art, uns zu verhöhnen? Deine Art, uns mitzuteilen, dass du alles im Griff hast?
    Moore kehrte ins Wohnzimmer zurück und ließ sich auf einen Sessel sinken. Es war heiß und stickig in der Wohnung, und dennoch zitterte er. Er wusste nicht, ob der kalte Schauder physische oder psychische Gründe hatte. Die Oberschenkel und die Schultern taten ihm weh, also hatte er sich vielleicht bloß einen Virus eingefangen. Eine Sommergrippe – die schlimmste von allen. Er dachte an all die Orte, wo er in diesem Moment lieber gewesen wäre. Er hätte mit seinem Boot auf einem See in Maine treiben können und seine Angelschnur durch die Luft pfeifen lassen. Oder am Ufer stehen und zusehen, wie der Nebel heranwallte. Egal wo – nur nicht an diesem Ort des Todes.
    Das Zirpen seines Piepsers schreckte ihn auf. Er schaltete ihn ab und merkte, dass sein Herz heftig klopfte. Er wartete, bis er sich einigermaßen beruhigt hatte, bevor er nach seinem Handy griff und die Nummer eintippte.
    »Rizzoli«, antwortete sie nach dem ersten Klingeln; eine Begrüßung von der Direktheit einer Pistolenkugel.
    »Sie haben mich angepiepst.«
    »Sie haben mir nicht erzählt, dass Sie einen Treffer im VICAP hatten«, sagte sie.
    »Was für einen Treffer?«
    »Bezüglich Diana Sterling. Ich sehe mir gerade ihre Akte an.«
    VICAP, das Programm zur Ergreifung von Gewaltverbrechern, war eine nationale Datenbank, in der Informationen über Fälle von Mord, Totschlag und schwerer Körperverletzung aus dem ganzen Land zusammengetragen wurden. Viele Mörder gingen immer wieder nach demselben Muster vor, und mit Hilfe dieser Daten war es den Ermittlern möglich, Verbrechen, die von einem bestimmten Täter begangen wurden, miteinander in Verbindung zu bringen. Rein routinemäßig hatten Moore und sein damaliger Partner Rusty Spivack eine Suche auf VICAP gestartet.
    »Wir haben keinerlei Übereinstimmungen in New England bekommen«, sagte Moore. »Wir haben sämtliche Tötungsdelikte durchlaufen lassen, bei denen Verstümmelung, nächtlicher Einbruch und
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