Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
nicht durch die Tür hereingekommen. Und er war auch nicht in seinem neu eroberten Königreich des Todes umherspaziert. Er hatte all seine Zeit, all seine Aufmerksamkeit auf das Schlafzimmer verwandt.
    Moore ging langsam an der winzigen Küche vorbei und weiter den Flur entlang. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. An der ersten Tür blieb er stehen und warf einen Blick ins Badezimmer. Er schaltete das Licht ein.
    Es ist warm in dieser Donnerstagnacht. Es ist so warm, dass die Leute in der ganzen Stadt die Fenster offen lassen, um nur ja jede verirrte Brise, jeden kühlen Lufthauch einzufangen. Du kauerst auf der Feuerleiter; du schwitzt in deinen dunklen Kleidern und starrst in dieses Badezimmer. Es ist kein Laut zu hören; die Frau liegt im Bett und schläft. Wegen ihres Jobs im Blumenladen muss sie früh aufstehen, und zu dieser Stunde erreicht ihr Schlafzyklus seine tiefste Phase, in der kaum irgendetwas sie aufwecken kann.
    Sie hört nicht das Kratzen des Spachtels, mit dem du das Fliegengitter aushebelst.
    Moore betrachtete die Tapete, die mit winzigen Rosenknospen verziert war. Ein feminines Muster; ein Mann würde so etwas nie aussuchen. Dies war in jeder Beziehung das Badezimmer einer Frau, von dem Shampoo mit Erdbeerduft über die Schachtel Tampons unter dem Waschbecken bis hin zu dem mit Kosmetika vollgestopften Medizinschränkchen. Sie war eins von diesen Mädchen, die auf aquamarinfarbenen Lidschatten stehen.
    Du steigst durch das Fenster ein, wobei Fasern von deinem marineblauen Hemd am Rahmen hängen bleiben. Polyester. Deine Sportschuhe, Größe 42, hinterlassen Abdrücke auf dem weißen Linoleumfußboden. Es finden sich Spuren von Sand, vermischt mit Gipskristallen. Eine typische Mischung, wie man sie sich auf den Straßen von Boston einfängt.
    Vielleicht hältst du kurz inne und lauschst in der Dunkelheit. Atmest die süße, fremde Atmosphäre der Weiblichkeit ein. Oder vielleicht verschwendest du auch keine Zeit und wendest dich gleich deinem Ziel zu.
    Dem Schlafzimmer.
    Die Luft schien schlechter, stickiger zu werden, während er den Fußspuren des Eindringlings folgte. Es war mehr als nur ein eingebildetes Gefühl der Bedrohung; es war der Geruch.
    Er erreichte die Schlafzimmertür. Inzwischen waren seine Nackenhaare starr aufgerichtet. Er wusste bereits, welcher Anblick ihn in dem Zimmer erwartete; er glaubte darauf vorbereitet zu sein. Doch als er das Licht einschaltete, überwältigte ihn das Entsetzen von neuem, wie an dem Tag, als er dieses Zimmer zum ersten Mal gesehen hatte.
    Das Blut war jetzt über zwei Tage alt. Der Reinigungstrupp war noch nicht da gewesen. Aber selbst mit ihren chemischen Reinigern, ihren Dampfstrahlern und ihren Eimern voller weißer Farbe würden sie das, was hier geschehen war, niemals völlig auslöschen können, denn die Luft selbst war für immer durchtränkt von diesem Grauen.
    Du trittst durch die Tür in dieses Zimmer. Die Vorhänge sind dünn, bloß ungefütterte Baumwollbahnen, und das Licht der Straßenlaternen dringt durch den Stoff und fällt auf das Bett. Auf die schlafende Frau. Gewiss wirst du noch einen Augenblick verweilen und sie eingehend betrachten. Die Vorfreude auf die Aufgabe genießen, die vor dir liegt. Denn für dich ist es ein Vergnügen, nicht wahr! Deine Erregung wächst und wächst. Das prickelnde Gefühl strömt wie eine Droge durch deine Adern, erweckt jeden einzelnen Nerv zum Leben, bis selbst deine Fingerspitzen vor ungeduldiger Erwartung pulsieren.
    Elena Ortiz war keine Zeit zum Schreien geblieben. Und wenn sie doch geschrien hatte, dann hatte sie niemand gehört. Weder die Familie nebenan noch das Paar in der Wohnung unter ihr.
    Der Eindringling hatte sein Werkzeug mitgebracht. Klebeband. Einen in Chloroform getränkten Lappen. Eine Sammlung chirurgischer Instrumente. Er war bestens vorbereitet.
    Die Tortur dürfte sich weit über eine Stunde hingezogen haben. Elena Ortiz war zumindest einen Teil dieser Zeit bei Bewusstsein. Sie hatte Hautabschürfungen an Hand- und Fußgelenken, was darauf hindeutete, dass sie sich gewehrt hatte. In ihrer Panik, in ihrer Todesangst hatte sie ihre Blase entleert, und der Urin hatte die Matratze getränkt und sich mit ihrem Blut vermischt. Es war eine komplizierte Operation, und er hatte sich Zeit genommen, um alles richtig zu machen und sich nur das zu nehmen, was er wollte, weiter nichts.
    Er hatte sie nicht vergewaltigt; vielleicht war er dazu nicht in der Lage.
    Als er mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher