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Schattenfeuer

Schattenfeuer

Titel: Schattenfeuer
Autoren: Kristen Callihan
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Prolog
    »Die Toten wiederzuerwecken ist keine große Zauberei.
Wenige sind wirklich tot: Schürt eines toten Mannes Glut, und eine Flamme erwacht zum Leben.«
    – Robert Graves
    London, August 1869
    »Dies ist die Geschichte einer Bestie, so groß und furchterregend, dass sie von allen geschmäht wurde. Und von einer Kaufmannstochter, mutig und schön, die durch ihre Liebe zu dem Biest seine Seele erlöste.«
    »Laang-wei-lig«, fiel eine hohe Mädchenstimme dem Jungen ziemlich unsanft ins Wort, worauf dieser dem Mädchen neben ihm einen verärgerten Blick zuwarf. Die beiden lagen Seite an Seite auf einer Zobeldecke, so verborgen in der Dunkelheit zwischen den riesigen Ballen Wolle und Baumwolle, die in dem gewaltigen Lagerhaus auf ihre Verschiffung am Dienstag warteten, dass man sie leicht hätte übersehen können. Sie waren gute Kinder aus gutem Hause, die sich gerne ausmalten, sie wären Waisen in einem unwirtlichen Land oder Schiffbrüchige auf hoher See. Was auch immer der Welt einen Hauch von Abenteuer verlieh.
    Sie hatten bereits Piraten gegen Kriegsmarine gespielt, wobei er völlig klar gewonnen hatte – Admiral Nelson schlug Anne Bonny jedes Mal. Dann hatten sie ihr Fort im Wilden Westen erfolgreich gegen angreifende Rothäute verteidigt. Als Nächstes war Geschichtenerzählen an der Reihe.
    »Langweilig?« Der Junge rümpfte die Nase, eine Miene, die ihn jünger und alles andere als vornehm aussehen ließ, was ihm gar nicht gefallen hätte, wäre es ihm bewusst gewesen. »Hör lieber gut zu«, riet er ihr streng. »Als Tochter eines Kaufmanns solltest du den Taten anderer Kaufmannstöchter gebührenden Respekt zollen …«
    Sie unterbrach ihn mit einem übertriebenen Gähnen. Ihre rotgoldenen Locken ergossen sich über die Zobeldecke, als sie sich tiefer hineinkuschelte. Im hinteren Teil des Lagerhauses war es kalt, trotz der trockenen Augusthitze draußen. Hier würde sie niemand finden, denn es war Sonntag. Nur der alte Dover war noch da, um Wache zu halten, aber er gönnte ihnen ihren Spaß, solange sie sich nicht blicken ließen.
    »Das ist ja alles schön und gut«, entgegnete sie und blinzelte mit ihren großen, eulenhaften Augen zu ihm hoch, »aber du hast mir die Geschichte schon ein paar Mal erzählt.« Sie hob den Kopf. »Ein paar Mal.«
    Beleidigt setzte der Junge sich auf. »Na schön. Wie es scheint, bin ich zu langweilig, um heute Nachmittag für Unterhaltung zu sorgen.« Er beugte sich vor, und ein übermütiges Funkeln, das Unfug verheißen ließ, glomm in seinen Augen auf. »Es ist kalt hier drin, findest du nicht?«
    Sie starrte ihn an. »Nein.«
    Doch so leicht gab er sich nicht geschlagen. Schließlich war es das beste Kunststück, das der Junge je gesehen hatte, und sie hatte ihn erst vor Kurzem in ihr Geheimnis eingeweiht. »Ich wette, du kannst das nicht noch mal«, meinte er mit einem abfälligen Schnauben.
    Sie fuhr aus ihrem gemütlichen Nest hoch. »Und ob ich es kann!«
    »Ich wette mit dir um dein Taschenmesser, dass du es nicht kannst.«
    Das Mädchen ballte die kleinen Fäuste. Keine Macht der Erde konnte sie dazu bringen, sich von ihrem Messer zu trennen. Es war ihr kostbarster Besitz. Der alte Dover hatte ihr das Chatellerault geschenkt. Ein vollkommen unangemessenes Geschenk für ein Mädchen, doch Dover hatte ihr erklärt, dass Mädchen mehr Schutz als Jungen benötigten und sie deshalb eines haben sollte. Er hatte ihr sogar beigebracht, wie man damit umging. Seitdem wurde sie von dem Jungen glühend um das Messer beneidet.
    Jetzt zog er eine finstere Miene. »Pah, so ein guter Trick war das eh nicht. Dass ich sieben Räder hintereinander geschlagen habe, war viel beeindruckender …«
    Ihre kleine, weiße Hand schnappte sich die Lampe vom Fußboden. »Ich mach’s, und dann schuldest du mir Fechtstunden.« Der Vater des Jungen hatte ihn dieses Jahr zum Fechtunterricht angemeldet, und um dieses Können beneidete sie ihn glühend.
    »Abgemacht. Und jetzt hör auf, Zeit zu schinden!«
    Mit grimmig zusammengekniffenem Blick befeuchtete sie die Finger mit Spucke und löschte die Kerze. Dunkelheit hüllte sie ein. Aufgeregt rückten die Kinder enger zusammen, und ihr Atem ging schneller – keines von ihnen würde es dem anderen gegenüber jemals zugeben, aber sie hatten beide Angst im Dunkeln.
    »Na los.« Er versetzte ihrem Knie einen Stups. »Tu’s endlich.«
    »Ich mach’s ja schon«, schnauzte das Mädchen zurück. »Und jetzt sei still!«
    Unruhig nestelte sie in
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