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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels
Autoren: Rachel Hore
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zu jedem meiner Konzerte in der Schule. Allerdings hielt er sich anschließend auch mit seiner Kritik nicht zurück, und ich wünschte mir manches Mal, er wäre nicht gekommen. Und was die eher persönlichen oder gefühlsmäßigen Seiten meiner Erziehung betraf – ich kann mich nicht daran erinnern, dass er mir je gesagt hätte, er würde mich lieben.
    Später war Dad unverhohlen eifersüchtig auf meine männlichen Freunde. Ich war sechzehn, als ein Hornspieler aus dem Schulorchester allen Mut zusammennahm und mich fragte, ob ich mit ihm ausginge. Ich war überrascht, dass jemand es gewagt hatte, meine Zurückhaltung zu durchbrechen, und sagte Ja. Wir gingen ein- oder zweimal ins Kino und einmal in ein Konzert, aber die Beziehung bröckelte, als Dad darauf bestand, dass Alan mich zu Hause abholte, damit er ihn kennenlernen könne. Dad war unwirsch und Alan mächtig eingeschüchtert, der arme Junge verlor in meinen Augen, und ich beendete die Beziehung kurze Zeit später. Danach weigerte ich mich, noch mal jemanden nach Hause mitzubringen, und gewöhnte mir stattdessen an, heimliche Affären zu haben – heimlich, aber köstlich.
    Ich will meine Probleme nicht übertreiben, denn die meiste Zeit kamen Dad und ich gut miteinander zurecht. Was führte also dazu, dass ich mich schließlich abseilte und nach einem Leben suchte, das mit ihm nichts zu tun hatte? Die Verhaltensmuster, die in der Kindheit geprägt werden, die Hochs und Tiefs einer Beziehung, sind nicht immer leicht zu beschreiben, aber ich will es versuchen.
    Ich schätze, mir wurden die zunehmende Sprachlosigkeit und die Heimlichkeiten zwischen uns immer stärker bewusst. Als ich älter wurde und neue Erfahrungen machte, musste ich so viel vor ihm verbergen – wie auch er immer so
    viel vor mir verborgen hatte. Außerdem nahm ich es ihm übel, dass er mein Älterwerden als Unglück zu empfinden schien, nahm es ihm übel, dass er sich beharrlich weigerte, Veränderungen zu begrüßen. Selbst wenn wir uns nicht schlimm gestritten hatten, als ich achtzehn wurde, war mir klar, dass die Trennung unvermeidlich war. Damals musste ich einfach fortgehen, genau so, wie ich jetzt zurückkommen musste.

3. KAPITEL
    Welcher Engel hinterlässt in diesem endlos gefrorenen Schnee nachts seine Spur?
    Emily Brontë, The Visionary
    Am nächsten Morgen weckten mich wie an jedem Sonntag während meiner Kindheit die Kirchenglocken. Und auch auf dem Weg zum Krankenhaus rief die einzelne klare Glocke von St. Martin’s beharrlich zum Gottesdienst.
    Ich fand meinen Vater zwischen mehrere Kissen gebettet halb aufrecht sitzend vor. Traurig schaute er aus dem Fenster. Eine Gesichtshälfte hing schlaff herab, es war fürchterlich anzusehen. Aber wenigstens war er wach, und nachdem es mir gelungen war, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, war ich mir sicher, dass seine Augen aufleuchteten.
    Ich packte sein Waschzeug aus, saubere Schlafanzüge und einen Bademantel. Ich hatte sogar einen Abenteuerroman seines Lieblingsautors mitgebracht, weil ich dachte, ich könne ihm vielleicht daraus vorlesen, sobald es ihm besser ging. Wie lange mochte das noch dauern? Nachdenklich legte ich das Buch neben die Freesien auf den Nachttisch.
    Ganz unten in der Tasche stieß ich mit der Hand an ein Päckchen aus Papiertüchern. Ich zögerte, dann packte ich die blaugoldene Brosche aus und zeigte sie ihm.
    »Gehört sie dir?«, fragte ich.
    Seine Augen signalisierten mir ein klares Ja – aber es lag unübersehbar Unruhe darin.
    »Ist sie etwas ganz Besonderes?«
    Anstelle einer Antwort drang ein qualvoller Laut aus seiner Kehle.
    »Du musst nicht sprechen«, sagte ich schnell. »Ich nehme sie wieder mit nach Hause, damit sie hier nicht gestohlen wird. Ich passe gut auf sie auf.«
    Verzweifelt suchte ich nach einem neuen Gesprächsthema. Der Mann im Nachbarbett schrie plötzlich im Schlaf, wie ein Kind, das einen bösen Traum hatte.
    »Im Geschäft läuft alles bestens«, begann ich schließlich und bemühte mich, meine falsche Fröhlichkeit zu zügeln, »ich kümmere mich darum, das Fenster für dich fertigzustellen.« Das sollte meine Aufgabe für den Nachmittag sein. »Und Zac arbeitet gerade an einem wunderschönen Sonnenaufgang. Gestern habe ich ein Stück Glas verkauft.« Ich redete immer weiter, erzählte ihm alles, was mir gerade einfiel. Von der rothaarigen Frau, die im Laden so lange alles durchwühlt hatte, dem Lampenschirm, den ich repariert hatte, von Anita aus dem Café, die sich nach ihm
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