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Nightshifted

Nightshifted

Titel: Nightshifted
Autoren: Cassie Alexander
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Kapitel 1
    Â 
    Â»Wie können Ihre
Leberwerte nur so gut sein?« Ich stand vor dem Zimmer von Mr. November und sah
zu, wie er sich unruhig hin- und herwälzte. Wenn normale Menschen 20000
Mikrogramm Fentanyl und 80 Milligramm Dormicum pro Stunde bekamen, überlebten
sie das nicht, und sie versuchten erst recht nicht, immer wieder in Zeitlupe
aus ihrem Krankenhausbett zu fliehen.
    Aber ich wusste, dass Mr. November nicht normal war.
Das sagte mir mein Urteilsvermögen, der Anblick seiner abgesplitterten,
gelblichen Fangzähne, die neben dem mit einer Titaniumspitze versehenen
Endotrachealtubus hervorragten, die Art, wie er am Bett fixiert war – mit sechs
Gurten, zwei an jedem Arm, einem pro Bein und einer Fixierweste, die um seine
Brust geschlungen und hinter dem Bettgestell verknotet war – und die Tatsache,
dass er sich überhaupt hier auf Station Y4 befand. Hier war niemand normal, abgesehen von mir.
Ich war ein Mensch und sah auch so aus: durchschnittlich braune Haare,
durchschnittlich blaue Augen, durchschnittlicher Hüftumfang. Meine Patienten
hingegen? Sagen wir einfach, »durchschnittlich« wäre nicht die erste
Bezeichnung, die einem einfällt, wenn man ihnen auf der Straße begegnet. Nicht
einmal die zwanzigste.
    Mr. November wand sich immer weiter. Ich fragte mich
kurz, welchem Glücksvogel der Tagesschicht ich morgen früh um sieben gerade
Bericht erstatten würde, während er hinter meinem Rücken aus seinem Bett kroch.
Ich konnte schon jetzt spüren, wie sie sich über mich lustig machten.
    Seine Infusionspumpe gab mit einem Piepen zu erkennen,
dass sie leer war, und seine gefesselte rechte Hand reagierte prompt mit wilden
Schlägen. Mist.
    Â»Hey, Sie!«, rief ich, lehnte mich durch die Tür und
versuchte, seine leicht getrübte Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. »Blieben
Sie ruhig liegen!«, befahl ich ihm durch die offene Tür. Manchmal kann man sich
mit der Stimme schwesterlicher Autorität bei aufgeregten Patienten etwas Zeit
erkaufen. Ich rannte zum Vorratsraum, schloss den Schrank mit den Narkotika
auf, schnappte mir einen Beutel Fentanyl und schaffte es gerade noch
rechtzeitig zurück zu seinem Zimmer, um zu sehen, wie er seinen Kopf wild hin
und her warf.
    Â»Hören Sie auf!« So schnell ich konnte, streifte ich
mir sterile Kleidung über. Wenn er es schaffte, sich seinen endotrachealen –
kurz ET – Tubus rauszuziehen,
wäre es mit der maschinengestützten Atmung vorbei, und dann auch mit ihm. Ich
zog Handschuhe an, nahm den Beutel und stürzte in das Krankenzimmer. Sobald ich
den Alarm der Pumpe abgestellt hatte, beruhigte er sich sichtlich.
    Â»Sie müssen ruhig liegen bleiben, Sir. Sie haben eine
Lungenentzündung und sind im Krankenhaus.« Ich tauschte die Beutel aus und
stellte die Pumpe neu ein. Dann holte ich Luft, um noch etwas zu sagen, sah
aber im gleichen Moment, wie Meaty, die zuständige Stationsschwester, draußen
im Schwesternzimmer wie ein Mond hinter der Scheibe auftauchte. Sie hielt eine
dicke Hand ans Ohr wie einen Telefonhörer. Das war die internationale
Schwesterngeste für »Arzt anrufen?«
    Ich nickte. »Stärkere Sedierung. Sofort. Bitte.«
    Mr. Novembers Hand zuckte wieder. Ich wusste nicht,
ob er bewusst nach mir griff, ob er einfach nur befreit werden wollte oder ob
er nicht verstand, was eigentlich vorging – was gar nicht so unwahrscheinlich
war, wenn man bedachte, was er alles an Medikamenten bekam –, jedenfalls nahm
ich seine Hand und umschloss sie mit meinen Fingern. »Sie müssen sich jetzt
ausruhen, okay?« Sein Griff verstärkte sich und ich folgte seinem Beispiel –
bevor ich bei diesem Job angetreten war, hatte ich einige Trainingsvideos gesehen,
und in den meisten wurde ausdrücklich betont, dass »Patientenkontakt wenn
möglich auf ein Minimum reduziert« werden sollte, was aus diversen Gründen
eigentlich eine verdammt gute Regel war. Doch dann entspannte er sich wieder
und ließ meine Hand los.
    Ich trat von seinem Bett zurück, zog OP -Mantel und Handschuhe
aus, wusch mir die Hände und ging hinaus.
    Â»Alles klar, Edie?«, fragte Meaty, als ich an meinen
Schreibtisch direkt vor Mr. Novembers Zimmertür zurückkehrte. Ich grunzte nur
und schlug Mr. Novembers Patientenakte auf, um mich dahinter zu verstecken. Um
Gina oder Charles kümmerte sich Meaty nicht, es sei denn, sie riefen
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