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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels
Autoren: Rachel Hore
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Auftragsbuch zu mir, um einige Einträge zu überprüfen. Das Ostfenster, so stellte sich heraus, war 1870 von einem gewissen Reverend Truelove in Auftrag gegeben worden. Ich brauchte eine Weile, um auch die anderen Einträge zu finden. Da waren sie, im April 1880: »Zwei bleiverglaste Fenster für St. Martin’s Westminster, geordert von Mr. James Brownlow. Noch nicht besprochen.« Das war alles.
    Nachdenklich betrachtete ich die Stapel auf dem Schreibtisch. Irgendwo dort mussten sich nützliche Informationen verstecken. Ich begann die staubigen Ordner zu durchsuchen, achtete genau darauf, die Reihenfolge nicht durcheinanderzubringen. Ich fand jedoch nichts, was irgendwie aufschlussreich war. Da ich nicht mal wusste, was ich genau suchte, gab ich bald auf.
    Ich schaltete das Licht aus und nahm Dads Notizheft mit ins Wohnzimmer hinunter. Dort machte ich es mir in einem Sessel am Fenster bequem und begann zu lesen.
    Reuben Ashe, so erfuhr ich, hatte die Firma gegründet, als farbiges Glas gerade wieder groß in Mode gekommen war. Einige hastig errichtete Kirchbauten hatten die im Viktorianischen Zeitalter neu erwachte Besessenheit für das Mittelalter befeuert. Dad beschrieb kleine Restaurationsprojekte, bescheidene Aufträge für öffentliche Gebäude, dann ein oder zwei Kirchenfenster auf der anderen Seite der Themse in Vauxhall, ein paar weitere für die Kapelle eines großen Landhauses in Essex, ein Triptychon für ein Rathaus.
    Das Unternehmen wuchs rasch und beanspruchte schon bald die Räumlichkeiten im Nachbarhaus – in dem sich inzwischen das Café befand. Mitte der 1870er-Jahre, so schrieb Dad, beschäftigte Ashe bereits zehn Männer, manchmal auch mehr, und man bewarb sich um immer größere Aufträge – Bleiarbeiten für die neuen Kirchen in den Vorstädten und für die öffentlichen Gebäude zum Beispiel, die sich unablässig auf die grünen Wiesen und Felder rund um London ausdehnten. Das Glas kauften sie bei großen Herstellern wie James Powell im East End.
    Dad beschrieb viele dieser Aufträge ganz akribisch. Zu akribisch, dachte ich liebevoll, während ich weiterblätterte, und erinnerte mich an einen seiner Lieblingssprüche: »Der Teufel steckt im Detail.« Jeder unkundige Leser hätte sich mit den endlosen Materiallisten und den Auszügen aus Briefen der Architekten rasch gelangweilt. Ich stellte mir vor, wie er Stunde um Stunde allein auf dem Dachboden gesessen und seine Einsamkeit mit endlosen Recherchen in der staubigen Vergangenheit gefüllt hatte. Vielleicht irrte ich mich, was die Einsamkeit anging, aber ich machte mir trotzdem Vorwürfe, dass ich ihn in den letzten elf oder zwölf Jahren so wenig besucht hatte.
    Die Passagen über das Kreuzigungsfenster waren sehr aufschlussreich. Man hatte keine Kosten gescheut, und Minster Glass war angewiesen, nur allerbestes Antikglas zu verarbeiten. Das großartige Ergebnis hatte zu vielen weiteren Aufträgen für verschiedene Kirchen geführt. Ich fragte mich, welche Entwürfe der viktorianische Reverend Brownlow wohl verlangt hatte. Nun, morgen würde ich es erfahren. Zu meinem eigenen Erstaunen freute ich mich unbändig auf den Besuch.

4. KAPITEL
    Engel sind intelligente Reflexionen des Lichts, jenes ursprünglichen Lichts, das keinen Anfang kennt. Sie können erleuchten. Sie benötigen weder Zungen noch Ohren, denn sie können ohne Sprache, nur mit Gedanken kommunizieren.
    Johannes von Damaskus,
Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens
    »Wusstest du, dass Dad ein Buch über die Geschichte von Minster Glass schreibt?«, fragte ich Zac am Montagmorgen mitten in den Lärm seines elektrischen Schleifgeräts hinein. Nachdem er alle Teile für das Sonnenaufgang-Fenster zurechtgeschnitten hatte, feilte er nun die rauen Kanten glatt.
    »Ja, das hat er mir erzählt«, antwortete Zac und unterbrach kurz seine Arbeit. Er war heute Morgen keine Spur freundlicher als am Samstag, was mich allmählich nervte.
    »Ist er schon lange damit beschäftigt? Er ist nämlich noch nicht sehr weit gekommen.«
    »Ein paar Monate vielleicht, ich weiß nicht genau.« Das Schleifgerät kreischte erneut.
    »Zac!« Meine Stimme klang gereizt, und das Kreischen hörte auf.
    »Hm?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
    »Zac, kannst du mir vielleicht mal zuhören?« Ich wusste, dass ich ziemlich ungeduldig klang. »Ich bleibe hier und helfe dir, zumindest bis es Dad ein bisschen besser geht. Aber ich darf meine Musik nicht allzu lange vernachlässigen.« Vermutlich klang ich nicht
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