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Der unsichtbare Turm

Der unsichtbare Turm

Titel: Der unsichtbare Turm
Autoren: Nils Johnson-Shelton
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Beinaheunfällen hörte man jedoch überall. Für den Rest ihres Lebens würden Hunderte von Leuten die Geschichte erzählen, wie sie beinahe von den herabstürzenden Steinbrocken getötet worden waren, die aus dem Nichts kamen.
    Die Behörden vermuteten zunächst einen Terroranschlag, doch niemand meldete sich und bekannte sich dazu. Und so einigte sich die öffentliche Meinung schnell darauf, dass das Ganze zwar eine beunruhigende Angelegenheit war. Doch die meisten fanden, dass eine Stadt wie Cincinnati mit mehreren tausend Tonnen gigantischer Bausteine zu bewerfen, weniger angsteinflößend als vielmehr schlicht absurd war.
    Um nicht zu sagen fast unmöglich.
    Theorien, die das Auftauchen der Steine zu erklären versuchten, vermehrten sich wie die Karnickel. Doch keine davon war sehr überzeugend. Die meisten Leute hatten die Sache schnell wieder abgehakt. Diejenigen, die das Ganze aus nächster Nähe miterlebt hatten, würden es natürlich niemals vergessen. Doch, wie der Rest der Welt, zogen sie es vor, sich der allgemein verbreiteten Selbsttäuschung anzuschließen. Zum vielleicht trillionsten Mal in ihrer Geschichte, bewies die menschliche Rasse ihre unheimliche und rätselhafte Fähigkeit, so ziemlich alles zu glauben. Ein paar große, alte Steine waren vom Himmel gefallen, das war alles. Es war doch schon Seltsameres vorgekommen, oder?
    Im Untergeschoss des Drahtseilbahn-Gebäudes wurde das Geschehen nicht seltsamer, sondern normaler. Wie Merlin versprochen hatte, ging es Artie schnell besser. Kay drehte das Moos auf seinem Bein um. Bald wachte er auf und sie sprachen über alles, was passiert war. Doch vor allem sprachen sie über Qwon. Artie konnte nicht aufhören, über sie zu reden. Er fühlte sich furchtbar, weil sie sie nicht gefunden hatten.
    In den folgenden Tagen, während die Räumungstrupps ununterbrochen arbeiteten, um die Trümmer um Merlins Laden herum wegzuschaffen, genas auch Bevedere und war schließlich genauso lange wach, wie er schlief. Er hatte die Infektionsgefahr überstanden. Artie und Kay blieben nur noch ein paar Tage, bis die Schule wieder anfing (Schule! Nach allem, was sie erlebt hatten!) und Kay verbrachte die meiste Zeit damit, mit Bevedere über Baseball (worüber er aus irgendeinem Grund sehr viel wusste – nicht über die Teams, aber über das Spiel selbst), Milchshakes oder SpongeBob zu reden. Wer hätte das gedacht? Bevedere hatte nie zuvor Zeichentrickfilme gesehen und war einfach nur verrückt nach dem kleinen Schwamm.
    Kynder, Lance und Frau Onakea waren sofort nach Cincinnati gefahren, als sie hörten, dass Artie, Kay und Däumling zurück waren. Kynder brachte Kay und Artie eine ganze Kiste Limonade mit! Als er sie ihnen überreichte, sagte Kay: »Mann, Kynder, du musst ja ein richtig schlechtes Gewissen wegen alldem haben. Danke! Aber mach dir keinen Kopf, ja?« Alles, was Kynder daraufhin tat, war, seine wundervolle Tochter so fest er konnte in den Arm zu nehmen.
    Verständlicherweise war Frau Onakea am Boden zerstört. Kynder musste all seine Klugheit und sein neu erworbenes Zaubertrank-Wissen aufwenden, um sie in einem ständigem Beruhigungszustand zu halten. Auch Artie litt ja unter dem Verschwinden von Qwon, doch Frau Onakea war vollkommen erschüttert. Gar nicht zu reden davon, dass es ihr ganz schön schwerfiel, all die Verrücktheiten zu glauben, die ihr erzählt wurden.
    Früh am Morgen des Tages, an dem sie nach Hause zurückkehren mussten, weil das neue Schuljahr anfing, war Artie einen Moment mit Frau Onakea allein. Sie saß in einem Sessel unter einer leichten Decke. Aufgrund der Beruhigungsmittel war sie nicht sehr gesprächig und daher saß Artie eine Weile einfach nur in tiefem, einvernehmlichen Schweigen bei ihr. Kurz bevor er gehen musste, nahm er ihre Hand und sie lächelte schwach. Artie sagte: »Ich werde sie finden, Frau Onakea. Ich schwöre Ihnen, dass ich sie finden und Ihnen zurückbringen werde.«
    Frau Onakea drückte Arties Hand. Mit einer großen Portion Überzeugung in der Stimme sagte sie: »Ich weiß, dass du das wirst, Artie. Ich weiß es.«
    Artie versuchte noch etwas zu sagen, doch Frau Onakea legte ihm die Finger auf die Lippen und sagte: »Und bitte, nenn mich nie wieder Frau Onakea. Mein Name ist Pammy.«
    Artie versprach es ihr und ging.
    Am nächsten Tag fuhr Kynder seine bemerkenswerten Sprösslinge zu Schule. Bedevere, der beschlossen hatte, es auch einmal mit der Schule zu probieren, begleitete sie. Wenn es nicht klappte,
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