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Der unsichtbare Turm

Der unsichtbare Turm

Titel: Der unsichtbare Turm
Autoren: Nils Johnson-Shelton
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muss und ihr alle euch ausruhen müsst: Lasst mich diesen Ort verlassen und tun, was ich kann, um sie zu finden. Kommt, wir müssen endlich die Ketten dieses unsichtbaren Turms sprengen!«
    »Dann also auf zur Hintertür? Zu Frau Drescher?«, fragte Däumling aufgeregt.
    »Ja! Zu Frau Drescher!«, antwortete Merlin.
    Er führte sie in Höchstgeschwindigkeit durch die wundersamen, belebten Räume und im Nu waren sie in der schlichten Kammer am Ende der unterirdischen Höhle des Zauberers.
    Merlin kniete sich vor Frau Drescher hin und zog Numinaes Hand mit einem Messer die Haut ab. Er entfernte ein Knochenstück aus versteinertem Holz von der moosigen Haut und legte es feierlich vor seine Knie. Eigentlich hätte er den gesamten Ausbruch aus dem unsichtbaren Turm sehr viel feierlicher begehen wollen – schließlich hatte er hier fast fünfzehnhundert Jahre festgesessen. Es war ein großer Moment. Doch er wusste: Je länger sie damit warteten, nach Qwon und Excalibur zu suchen, desto schwerer würde es werden, sie zu finden.
    Er murmelte ein paar Worte vor sich hin, sah dann Kay an und sagte eindringlich: »Es ist ein Jammer, dass Artie jetzt nicht hier sein kann. Merk dir all das gut, Kay. Erzähl ihm davon. Es ist Teil seines Vermächtnisses.«
    »Mache ich«, sagte Kay eifrig.
    Die kleine Tür öffnete sich von selbst. Und dann, zum ersten Mal in seinem Leben, lehnte sich Merlin vor und schob seinen Oberkörper durch die Öffnung. Er griff nach etwas und zog es heraus.
    Es war ein länglicher Klotz aus weißem Kalkstein, an dem ein heller Titangriff angebracht war. Außerdem waren fünf fingergroße Löcher darin.
    »Was machst du jetzt, Merlin?«, fragte Kay.
    »Das ist der Schlussstein des Turms, Kay Kingfisher. Normalerweise befindet er sich am höchsten Punkt eines Torbogens, doch in diesem Fall ist er hier unten. Sobald der Schlussstein zerstört ist, wird auch der Turm verschwinden und ich werde frei sein.«
    Er führte Numinaes skelettartigen Finger in die Löcher ein. Sobald sie an Ort und Stelle waren, begann der Klotz zu vibrieren und Frau Drescher hin- und herzuschwingen, wobei sie abwechselnd gegen den Schlussstein und die Wand schlug.
    Jetzt war es so weit. Merlins Augen weiteten sich, während die Hand des Waldlords in den Steinlöchern rüttelte. Und dann begann der Stein zu bröckeln. Merlin lächelte – ein begieriges, breites, erwartungsvolles Lächeln – und wandte sich Kay und Däumling zu.
    Schon jetzt sah er anders aus. Däumling erkannte ihn kaum wieder. Merlin streckte seine Arme zur Seite aus und sein Gewand hing an ihm herab wie Flügel.
    »Ich bin endlich frei!«, jubelte er. »Freiiii!«
    Mit wilden, Furcht einflößenden Augen schrie er: »Vier Dinge sind jetzt wichtig! Verlasst auf keinen Fall die Kellergewölbe, bevor der Lärm aufgehört hat! Sucht nicht nach Qwon oder Excalibur oder riskiert, in die Anderswelt zu kommen, ehe ihr von mir gehört habt! Wendet das Moos auf Arties Bein in genau drei Stunden! Und vor allem, kümmert euch um den Laden, meine Freunde! Danke euch allen … und kümmert euch um den Laden!«
    Ein greller Blitz blendete Kay und Däumling für mehrere Minuten. Während sie nichts sehen konnten, hörten sie zunächst das Schlagen riesiger Flügel, die sich durch und aus Frau Drescher hinausbewegten. Und dann fing der Raum an zu wackeln und sie bekamen es mit dem schlimmsten, markerschütterndsten Krachen, Bröckeln und Beben zu tun, das sie je erlebt hatten.

Kapitel 32
    IN DEM DIE KINGFISHERS SICH DARAUF VORBEREITEN,
ZURÜCK NACH HAUSE ZU FAHREN
    Jeder Polizei- und Feuerwehreinsatzwagen diesseits des Ohio River – und auch noch ein paar weitere von der anderen Flussseite – rasten zu dem alten Gebäude der »Drahtseilbahn Weinstraße«. Sie folgten den aufgeregten Anrufen Hunderter Bürger, die meldeten, dass riesige Blöcke weißen Gesteins von … von … nun ja, niemand konnte genau sagen, wovon sie herabstürzten.
    Diejenigen, die es mit eigenen Augen sahen, schworen, dass gewaltige Brocken Kalksteins plötzlich irgendwo oben in der Luft auftauchten und dann erdwärts rasten. Während der eine Stein fiel, erschien über ihm der nächste aus dem Nichts und krachte herab, und so weiter. Alles in allem kamen genau eintausend Steinquader herunter und zerstörten Autos und Busse, beschädigten Gebäude und jagten so ziemlich jedem eine verdammte Angst ein.
    Wie durch ein Wunder wurden nur geringfügige Verletzungen gemeldet. Von Kratzern und
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