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Der unsichtbare Turm

Der unsichtbare Turm

Titel: Der unsichtbare Turm
Autoren: Nils Johnson-Shelton
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das düstere Gehölz, wobei Tiberius uralten Bäumen, Felsbrocken und kleinen Hügeln ausweichen musste. Sehr bald erreichten sie die Schlucht, die sie zuvor durchwandert hatten, und tauchten über dem umgekehrten Wasserfall in sie hinein. Der Drache legte seine Flügel an und schlängelte sich durch die Schlucht bis in seine Höhle.
    Tiberius landete und setzte Artie behutsam auf dem Boden ab, neben den versteinerten Däumling und die Schwertscheide. Kay sprang von Tiberius, holte die Schwertscheide und legte sie ihrem Bruder auf.
    Sein linkes Bein war versengt und blutverkrustet; seine elektrisch aufgeladenen Haare standen zu Berge. Er war blass, seine Atmung schnell und flach.
    Kay drückte fest auf die Schwertscheide und flehte sie an, ihre Aufgabe zu erfüllen.
    »Sie funktioniert nicht!«, sagte sie verzweifelt über die Schulter zu Tiberius.
    Er ließ etwas aus seinem Maul fallen. »Das hier öffne und versuche es mit dem, was darin ist.«
    Es war Numinaes zu einer Faust geballte Hand. Kay nahm sie und bearbeitete die verkrampften Finger. Es war schwierig, sie zurückzubiegen, doch nach kurzer Zeit hatte sie die Hand geöffnet. Darin lag eine dunkle, trübe Glaskugel. Excaliburs Knauf! Irgendwie war es Numinae gelungen, ihn festzuhalten!
    »Was soll ich tun?«
    Hinter ihr hörte es sich an, als würde Tiberius etwas lecken. Zwischendurch hielt er inne und sagte: »Leg ihn auf die Scheide.«
    Nachdem sie das getan hatte, entfaltete der Zauber sehr schnell seine Wirkung. Nach kurzer Zeit kehrte die Farbe in Arties Gesicht zurück und seine Atmung wurde leichter. Sein Bein jedoch sah immer noch aus wie ein Stück Fleisch, das zu lange auf dem Grill gelegen hatte, und roch auch so.
    Kay erhob sich. Tiberius leckte gerade die letzten Reste von Däumlings steinernem Gefängnis auf. Benommen, verwirrt und durchnässt von Drachenspeichel stand der kleine Mann vor ihr.
    Der Drache holte einen großen ledernen Trinkbeutel hervor und reichte ihn Kay. »Gib ihm Wasser.« Tiberius setzte Artie auf und Kay hielt ihm den Beutel an die Lippen. Artie bewegte sich ein wenig und nahm gierig ein paar Schlucke.
    Dann trank Kay selbst und hielt Artie den Beutel noch einmal hin. Er stöhnte und weigerte sich zu trinken.
    Kay sah Tiberius an. Däumling war noch immer ganz durcheinander und sprachlos. Kay fragte: »Warum wird sein Bein nicht von der Scheide geheilt?«
    »Hmmmpf. Sie ist weniger machtvoll als zuvor. Ihr Gefährte ihr fehlt«, sinnierte der Drache.
    »Wie kann ich ihn dann wieder gesund bekommen? Er muss wieder gesund werden, Tiberius!«
    »Bring ihn zum Zauberer. Er wird ihn retten.«
    »Aber wie kommen wir ohne das Schwert zurück?«
    Endlich sagte Däumling: »Was ist passiert?«
    Tiberius beachtete ihn nicht. »Der Knauf wird das Tor öffnen. Aber es ihm sagen der Junge muss.«
    Kay ignorierte Däumling ebenfalls. Sie kniete vor Artie, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. Däumling begann zu begreifen, was los war. Er nahm den Trinkbeutel und bot Artie mehr Wasser an. Der Junge nahm nun doch noch einen Schluck und hustete. Seine Augen öffneten sich.
    »Hey, Brüderchen«, sagte Kay und zwang sich, ruhig zu bleiben. »Du musst für uns den Spruch sagen, der das Tor öffnet.«
    Artie war im Fieberwahn. Sein Kopf hing schlaff zur Seite und er stöhnte: »Aber Excalibur …«
    »Mach dir darüber keine Gedanken, Artie«, erwiderte Kay und streichelte mit dem Handrücken seine schmutzige Wange. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie furchtbar aussehen musste. Tränen stiegen ihr in die hübschen Augen. Sie nahm das Gesicht ihres Bruders in beide Hände und riss sich zusammen. »Leg einfach deine Hand auf die Schwertscheide und sag die Worte. Das ist alles, was du tun musst. Du erinnerst dich doch an sie, oder?«
    Artie runzelte die Stirn. Er wollte so gerne schlafen. Flüsternd stieß er hervor: »Lunae …«
    »Genau, das ist es. Komm schon!«
    »Lunae lum…«
    »Das ist unser Junge!«, redete ihm Däumling gut zu, der auf Arties verkohltes Bein starrte und endlich den Ernst der Lage erkannt hatte.
    »Lunae lumen«, stieß Artie mit schwacher Stimme hervor.
    Kay flehte: »Und jetzt denk an Merlins Keller! Komm schon! Wir müssen in Merlins Keller!«
    Artie ächzte: »Okay.« Und dann wurde der junge König bewusstlos.
    Doch es funktionierte. Das Mondtor öffnete sich aus dem Knauf. Kay lächelte und griff nach Numinaes Hand. Während sie davongetragen wurden, hörten sie, wie Tiberius ihnen nachrief:
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