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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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trug, und in der Hosentasche einen Kamm für seine Frau. Und hier war dieser Menschenauflauf, keiner wusste wieso. Man schrie, der Vorsitzende sei erschlagen worden, doch dort unterhielt er sich mit jemandem. Dobrynin spuckte in Gedanken aus und ging zu seiner Hütte.
    Zuhause küsste er seine Frau Manjascha und die Kinder und teilte ihnen die Geschenke aus.
    „Wieso denn heute?“, wunderte sich seine Frau. „Bis Neujahr ist es doch noch fast eine Woche hin!“
    „Ja, wirklich, wieso denn heute?!“, überlegte Dobrynin laut.
    Er überlegte lange, und dann nahm er die Geschenke zurück.
    „In fünf Tagen bekommt ihr sie!“, antwortete er streng den weinenden Kleinen, denen es gerade gelungen war, die Bonbons einen Augenblick in den Händchen zu halten.
    Darauf trat er in den Hof hinaus, um ein wenig bei seinem geliebten Hund Mitka zu stehen. Inzwischen war es schon Abend geworden, und der Schneesturm legte richtig los, heulte und pfiff. Dobrynin trat zur Hundehütte, klopfte auf ihr Holzdach. Von drinnen ließ sich Mitka vernehmen und heulte nun gemeinsam mit dem Schneesturm. So wohl wurde es Dobrynin da ums Herz, so warm, ruhig und froh, dass ihm Tränen in die Augen traten, ob vom Wind und dem Schnee oder all den Gefühlen. Er hätte gern selbst losgeheult, damit Köter Mitka die Unterstützung seines Herrchens spürte. Obgleich Dobrynin verstand, dass Hunde ihre Hundeangelegenheiten hatten und Menschen die ihren, menschlichen, schämte er sich trotzdem nicht für seine Gefühle zu seinem Hund. Auch nicht, als er bemerkte, dass der Schneesturm gar kein richtiger war, nur der Wind wirbelte etwas Schnee vom Dach, und das war der ganze Schneesturm! Jetzt heulte Dobrynin aus vollem Herzen los. Mitka streckte seine schwarze Schnauze aus der Hütte, sah mit freundlichem, gutmütigem Blick sein Herrchen an, und von Neuem ging es los: hu-u-u-u-u-uuuuuuuu, und Dobrynin gleichfalls: hu-u-uuuu. So heulten sie gemeinsam in diesem Schneetreiben um die Wette …
    „He, Genosse Dobrynin! Genosse Dobrynin!“ Jemand rüttelte den schlafenden Volkskontrolleur an der Schulter.
    Der Kontrolleur schlug die Augen auf, und der Soldat blickte ihn erschrocken an.
    „Ist Ihnen schlecht?“, fragte er.
    „Nein, gut …“, antwortete Dobrynin.
    „Sie haben im Schlaf geschrien …“, stammelte der Soldat. „Vielleicht trinken Sie noch etwas, das beruhigt, ich weiß es von mir selber … Spiritus, das ist schon was, das heilt sogar die Nerven.“
    „Was habe ich denn geschrien?“, erkundigte sich Dobrynin.
    „Hu-u-uuuuu!“, wiederholte der Soldat. „Wie wenn der Schneesturm heult oder ein Zug kommt.“
    Dobrynin nickte.
    „Sind wir etwa schon da?“, fragte er plötzlich, als ihm bewusst wurde, dass der Panzer auf der Stelle stand und ringsum Stille herrschte.
    „Jawohl“, bestätigte der Soldat.
    Dobrynin wandte sich um und sah nach Waplachow, doch Dmitrij schlief, eng zusammengekauert, auf dem unbequemen Sitz. Er schlief tief und fest und atmete nicht einmal hörbar.
    „Also, dann steigen wir aus?“, fragte Dobrynin.
    „Ich gehe“, sagte der Soldat. „Ich gehe schnell beim Funker Petrow vorbei, damit er dem Kommandanten funkt, dass wir angekommen sind. Ich frage, wo Sie wohnen sollen, damit ich Sie dann hinbringen kann. Danach geht’s schon wieder zurück. Wir könnten ja auch noch gemeinsam ein Fläschchen …“ Den letzten Satz sprach der Panzersoldat ganz leise, fast flüsternd.
    „Ja, nur lo-o-o-s …“, schnaufte Waplachow, ohne die Augen aufzuschlagen. „In Angedenken an mein Volk …“
    „Oh“, staunte Dobrynin. „Wo hat er denn das so schnell gelernt?“
    „Das war, als Sie fort waren … im Städtchen haben sie eine Gedenkfeier ausgerichtet … zum dritten Jahrestag, seit die Einheit aus dem benachbarten Militärstädtchen ver-schwand …“, antwortete der Soldat.
    „Wie ist sie verschwunden?“
    „Das weiß keiner. Der Winter war streng, und sie haben nicht mehr gefunkt. Im Frühling sind wir nach einem Schneesturm hingefahren, um nachzusehen. Die Stadt war heil, aber Menschen waren keine mehr da, auch ihre Sachen waren fort … Alles völlig leer … Sie wurden nie mehr gesehen … Aber wer soll sie auch schon sehen, wenn ringsum gar niemand lebt … Na gut, ich klettre jetzt raus, und Sie warten hier …“
    Der Panzerfahrer schob seinen schmächtigen Körper durch die Luke, und die Sohlen seiner Stiefel schwangen an Dobrynins Kopf vorbei.
    Waplachow wachte auf und rieb sich die Augen. Er
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