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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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hunderttausenden russischer und nicht russischer Soldaten, Bäuerinnen, Arbeiterinnen und Matrosen die sowjetische Nation. Darauf ging sie ihren Weg und entwickelte sich völlig abgeschnitten von der übrigen Welt und anders als diese. Nur ein Sowjetmensch konnte den sowjetischen Menschen richtig verstehen, ein Ausländer dagegen niemals.

    Darum habe ich dieses Buch geschrieben – um aufzuzeigen, wie all die echten Sowjetmenschen damals dachten und lebten. Heute gibt es keine Sowjetmenschen mehr, aber ich habe sie noch angetroffen, erinnere mich gut an sie und liebe sie. Ich möchte gern, dass auch Sie sie verstehen und, wenn möglich, lieb gewinnen. Und wenn Sie sie nicht lieb gewinnen können, aber wenigstens verstehen, dann bin ich auch damit zufrieden!

    Andrej Kurkow, Mai 2013

Kapitel 1
    Vom Morgen an blies ein stürmischer Wind, und auf seinem Weg zum Flugplatz hatte der Volkskontrolleur Dobrynin Zweifel daran, ob er an diesem Tag noch aus Moskau ab­fliegen würde.
    „Wieso hat man Ihnen denn keinen Urlaub gegeben?“, wunderte sich Viktor Stepanowitsch, der neben ihm saß. „Das ist nicht recht … bei so einer verantwortungsvollen Arbeit …“
    Dobrynin zuckte mit den Schultern. Erschöpft fühlte er sich nicht. Müde war er wirklich, seine dienstliche Ehefrau, Marija Ignatjewna, hatte ihn nicht schlafen lassen, hatte ihn die ganze Nacht umarmt und geküsst …
    Sie fuhren hinaus aus der Stadt. Auf der einen Seite des Weges zog sich ein grauer Zaun entlang, dahinter ragten die Gebäude einer Fabrik empor.
    Sie fuhren an das einstöckige gestreifte Häuschen mit dem Windmesser und den Antennen auf dem Dach heran.
    Es war still auf dem Flugplatz.
    Dobrynin erkannte ‚seinen‘ Bomberpiloten sogleich.
    Der ihm vertraute Pilot stand von dem Tisch auf und lächelte fröhlich. „Guten Morgen“, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen. „Na, fliegen wir zurück?“
    Dobrynin nickte.
    Beim Anblick dieses lebensfrohen Kampfpiloten hob seine Stimmung sich augenblicklich, schlafen wollte er nun nicht mehr, er wollte voll und ganz wach sein.
    „Tee?“, bot der Pilot an.
    „Gern!“, antwortete Dobrynin, während er am Tisch Platz nahm.
    „Na, ich fahre dann mal, Pawel Aleksandrowitsch …“, be­merkte Viktor Stepanowitsch von der Tür her. „Es gibt viel zu tun. Bis zum nächsten Mal, also!“
    Dobrynin spähte in seinen Reisesack, und ein Gedanke regte sich in seinem Gedächtnis, als hätte ein Glöckchen geklingelt und ihn an etwas Vergessenes erinnert.
    Der Volkskontrolleur versank in Nachdenken.
    Ach, wäre er jetzt nur dort unten im Kreml, wo der eigenartige Stuhl stand, mit der Mechanik, die einem half, sich sogar an das zu erinnern, was man gar nicht gewusst hatte!
    Vor Kummer schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, da klingelte dieses Glöckchen lauter, und dem Volkskontrolleur fiel ein, dass er versprochen hatte, Kommandant Iwaschtschukin etwas zum Tee mitzubringen.
    Nun wurde er traurig, denn er hatte rein gar nichts be­sorgt, hatte noch nicht einmal einen Laden betreten.
    Vor dem Fenster ihres Häuschens hielt ein schwarzer Personenwagen.
    ‚Ob Viktor Stepanowitsch zurückgekommen ist?‘, überlegte Dobrynin und sah aufmerksam hin.
    Die Tür ging auf.
    „Ich habe es geschafft, Gottseidank!“, ertönte eine vertraute Stimme.
    Dobrynin hob den Kopf und erblickte den breit lächelnden Woltschanow.
    Der Oberleutnant kam an den Tisch. Er setzte sich auf den freien Stuhl mitten zwischen den Volkskontrolleur und den Piloten und schenkte sich aus der Kanne selbst Tee ein, nachdem er sich seine Aktentasche auf die Knie gelegt hatte.
    „Wie steht es mit der Gesundheit?“, erkundigte sich Dobrynin.
    „Oh, schon besser.“ Woltschanow wiegte den Kopf. „Letzte Nacht habe ich mal ganz ruhig geschlafen.- Ach, gut, dass ich dran denke!“, meinte er und fuhr mit der Hand in seine Aktentasche. „Das ist für dich, für die Reise …“
    Auf dem Tisch vor Dobrynin erschienen drei kleine Packungen „Oktober“-Kekse und ein in Papier eingewickeltes Päckchen.
    „Das sind belegte Brote“, erklärte der Oberleutnant, auf das Päckchen blickend. „Vermutlich wirst du ja lange fliegen … Und hier, da ist noch etwas für dich, vom Genossen Twerin!“
    Der Volkskontrolleur nahm aus Woltschanows Händen ein dünnes Buch, „Lenin für Kinder“, zweiter Band, entgegen. Er schlug es auf und erblickte auf dem Titelblatt die Inschrift: „Dem lieben Genossen Dobrynin von Genosse
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