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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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Prolog
    Einst in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts floh ein neugieriger Engel aus dem Paradies in die Ud SS R, um zu verstehen, warum die sowjetischen Menschen nach dem Tod nicht ins Paradies kamen. Nachdem er unten auf sowjetischer Erde einige Bauern getroffen hatte, die das Paradies auf Erden statt im Himmel suchten, schloss er sich ihnen an. Sie gingen daran, dieses Paradies gemeinsam zu errichten. Zu der Zeit gab es auch schon Kinder und es war sogar eine richtig ausgebildete junge Lehrerin unter ihnen, in die sich der Engel verliebte. Als einziges Problem ihrer Beziehung zueinander erwies sich Gott, denn die Lehrerin war überzeugte Atheistin, und sie war mit einem Kuss nur einverstanden, wenn der Engel laut erklärte, dass es keinen Gott gäbe.

    Einst in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts erreichte ein offizieller Brief des Kreml ein kleines russisches Dorf: Unter den Bewohnern sollte der ehrlichste Mann ausgewählt und nach Moskau geschickt werden, wo er Volkskontrolleur werden und verantwortlich für Ordnung und Gerechtig­keit des sowjetischen Lebens sein sollte. In jenem Dorf lebte mit Frau und zwei kleinen Kindern nur ein einziger ehrlicher Mensch, Pawel Dobrynin mit Namen, und alle übrigen Dörfler hatten ihn mit seiner Ehrlichkeit so satt, dass sie ihn auf der Kolchosversammlung erwählten, um ihn loszuwerden. Dobrynin nahm brav Abschied von seiner Familie und fuhr nach Moskau. Dort gab man ihm eine Dienstwohnung und eine Dienstehefrau namens Marija Ignatjewna, die ihn freundlich empfing, und man schenkte ihm ein weißes Pferd. Man erklärte ihm, womit er sich fortan befassen sollte, und schickte ihn als Volkskontrolleur in den Hohen Norden, damit er überprüfte, wie ordentlich und gerecht das Leben dort verlief. Erst dort, im Hohen Norden, erkannte Dobrynin die ganze Bedeutung und Gefährlichkeit seiner Arbeit. Gerade noch knapp dem Tod entronnen, führte er seine Überprüfung des sowjetischen Lebens zu Ende und erhielt aus dem Kreml eine neue Aufgabe – das Leben am anderen Ende der Sowjetunion zu kontrollieren.

    Einst im Jahr 1917 begriff der Varietékünstler Mark Iwanow, der Besitzer des Papageis Kusma war – eines Vogels, der über ein einzigartiges Gedächtnis verfügte und sich hunderte von Gedichten merken und aufsagen konnte –, dass das Leben dabei war, sich zu verändern. Zuvor waren der Papagei und er in Restaurants, Kabaretts und Theatern aufgetreten und hatten das wohlhabende Publikum mit lustigen Versen unterhalten. Doch nach der Oktoberrevolution musste Mark Iwanow das Repertoire von Papagei Kusma variieren, denn sie traten nun vor ganz anderen Leuten auf: nämlich Matrosen, Soldaten und Arbeitern. Nur gut, dass Papagei Kusma sich die Revolutionsgedichte Wladimir Majakowskijs und anderer Dichter leicht aneignete. Fortan reisten Mark und der kluge Vogel durch Sowjetrussland und traten auf Baustellen, in Fabriken und vor Armee-Einheiten auf. Ein interessantes Leben begann für die beiden, nur ein Gedanke bekümmerte Mark Iwanow regelmäßig: der Gedanke daran, dass Mark Iwanow ohne den Papagei Kusma ein Nichts war, einfach nur ein leerer Fleck.

    Einst nach dem Ende des russischen Bürgerkriegs kehrte der ehemalige Maschinengewehrschütze Wasilij Banow in seine Heimatstadt Moskau zurück. Dort wurde er Direktor einer Schule. Mit großer Liebe befasste er sich mit den Kindern und strebte danach, sie zu frohen und zu Träumen fähigen sowjetischen Menschen zu erziehen. Aber als er von einem Schüler erfuhr, dass dessen Mutter, zum Beispiel, nicht zu träumen verstand, erschienen ihm seine Erziehungs­bemühungen in der Schule zu wenig. Da beschloss Wasilij Banow, die Mutter des Schülers kennen zu lernen und ihr klarzumachen, dass es unerlässlich sei, den Kindern ein Beispiel erwachsenen Träumens zu geben. Sie begannen sich zu treffen, und Wasilij Banow lehrte diese stolze und schöne Frau, die in ihrem Leben nicht wenige Tragödien durch­gemacht hatte, aufs Neue zu träumen. Und ihre immer­währende Freundschaft erweitete sich zu einer starken, ideologisch einwandfreien Liebe.

    Eines Tages erfuhr Wasilij Banow ein äußerst gefährliches Geheimnis. Er erfuhr, dass Wladimir Lenin in Wahrheit nicht gestorben war, sondern auf den Wiesen unter dem Kreml in einer Laubhütte lebte. Ab sofort entbrannte Wasilij Banow für die Idee, dorthin zu gelangen, um mit dem Führer der Revolution persönlich über all die Dinge zu sprechen, die ihn bewegten.

    Einst entstand aus
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