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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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aber drängte es mit Macht zur Arbeit, und er weckte den hinter der Wand im anderen Zimmer schlafenden Funker Petrow.
    Petrow war ehrlich erstaunt, dass die beiden Ankömmlinge sich gleich an die Arbeit machen wollten, erst recht, wo einer von ihnen, Dmitrij Waplachow, sich durch eine bläu­liche Farbe Gesichtsfarbe und einen seltsam nach innen ge­richteten Blick auszeichnete. Er erkannte jedoch, dass der Kontrolleur hartnäckig und ernsthaft in seinen Absichten war.
    Zu dritt traten sie auf die Straße hinaus. Aber was das für eine Straße war, das war schon eine andere Frage, denn das Städtchen bestand nur aus sechs Gebäuden, von denen das Fellmagazin das größte darstellte.
    Ihre rotbraunen Pelzmäntel waren warm, doch sowohl Dmitrij, als auch Dobrynin spürten, wie der Frost sie in Wangen und Nase biss.
    In dem Magazin herrschte dieselbe tiefe Temperatur wie auf der Straße.
    „Hier, das sind die Register!“ Der Funker Petrow fasste einen Packen Rechnungsbücher, die auf einem Schreibtisch direkt neben der Tür lagen. Der ganze Raum war mit Fellen übersät, sie lagen und hingen dort in Bündeln, einige waren auch auf dem Boden verstreut und boten einen kläglichen, gerupften Anblick.
    „Also, hier finden Sie sich ja dann selbst zurecht …“, bemerkte Petrow unbestimmt.
    Dobrynin nickte.
    Waplachow konnte nicht nicken. Ihm schien, dass, wenn er den Kopf nach vorn neigte, das Gleichgewicht verschwinden würde, das es im erlaubte, zu gehen und geradezustehen, und dass sein Körper vornüber fliegen würde – dem Kopf hinterher, der für das wacklige Gleichgewicht zu schwer geworden war.
    Licht gab es im Innern nicht, aber zwei Fenster und die weit geöffnete Tür ließen alles erkennen.
    Petrow ging davon.
    Vorsichtig schlug Dobrynin das oberste Rechnungsbuch auf und prallte direkt zurück, so erschrocken war er über die endlosen Zahlen, die die erste Seite dieses Registers füllten.
    Waplachow näherte sich seinem Chef, blieb neben ihm stehen und spähte ebenfalls auf die Seite. Vor seinen Augen begann es zu flimmern und zu tanzen, und er kniff die Augen zusammen.
    „In Ordnung!“, stieß Dobrynin plötzlich hervor, setzte sich auf einen Stuhl und vergrub den Kopf in der ersten Seite des Registers.
    Es war nun völlig still.
    Waplachow wurde es übel, er lief schwankend in die kalte Weite hinaus und ließ den Volkskontrolleur in nachdenklicher Einsamkeit zurück.
    Dobrynin, der die mit flimmernden Zahlen bedeckten Seiten durchblätterte, wurde immer ernster und begann den Sinn des Registers bereits ein wenig zu verstehen. Auf der letzten Seite studierte er aufmerksam vier Spalten mit Zahlen und freute sich, dass er der Sache so schnell auf die Spur kam: über den Spalten standen mit krakeliger Handschrift die Abkürzungen „schw.“, „w.“ und „versch.“ geschrieben, und über der letzten von ihnen prangte das vollständige, Dobrynin aus der Kolchosvergangenheit bekannte Wort „Gesamt“.
    Das Bild war klarer geworden, nun mussten noch die Felle gezählt werden. Doch diese Aussicht machte den Volks­kontrolleur, der bereits eine geistige Erschöpfung spürte, nicht recht froh. Sein Kopf neigte sich über der letzten, mit Zahlen vollgeschriebenen Seite des Buches immer tiefer, bis er sich schließlich einfach aufs Papier legte und ihm die Augen von selbst zufielen.
    Aber der Kontrolleur schlief nicht lange. Als Erstes erwachte der entschlossene Wunsch, zu arbeiten, und gleich darauf öffneten auch seine Augen sich wieder. Ein wenig zornig auf sich selbst, stand Dobrynin vom Tisch auf, hielt draußen suchend Ausschau nach seinem Gehilfen und kehrte, als er Waplachow nicht fand, wieder ins Magazin zurück. Er begann bündelweise die weißen Felle von den Haken an Wänden und Decke abzunehmen. Dann warf er sie in der Nähe des Tisches auf den Boden, wo es nicht ganz so schmutzig wie anderswo war.
    Als alle weißen Felle am Boden lagen, kauerte er sich hin und machte sich mit einem Seufzer ans Zählen.
    Er nahm sie hoch, immer zehn auf einmal, stand auf, trat einen Schritt zum Tisch und machte auf einer frischen Seite des Rechnungsbuches mit einem Bleistift einen Strich. Dann kauerte er sich wieder hin und nahm sich die nächsten zehn vor. Unbemerkt verging die Zeit. Die Finger taten ihm ein wenig in den Gelenken weh, und natürlich waren die Hände von der Kälte schon bläulich-rot angelaufen, doch Dobrynin achtete nicht darauf. Auf dem frischen Blatt des Rechnungsbuches reihten sich die
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