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Weißglut

Weißglut

Titel: Weißglut
Autoren: Sandra Brown
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Prolog
    Manche meinten, wenn er sich wirklich hatte umbringen wollen, hätte er sich keinen besseren Tag aussuchen können.
    Das Leben war an diesem Sonntagnachmittag wahrhaftig nicht besonders lebenswert, und die meisten Organismen arbeiteten nur auf Sparflamme. Die Luft war dick und heiß wie Maisgrütze. Sie entzog jedem Lebewesen sämtliche Energien, egal ob Pflanze oder Tier.
    Alle Wolken verdampften unter der Grausamkeit der Sonne. Ein Schritt aus dem Haus ins Freie war wie das Betreten eines der Hochöfen in Hoyles Gießerei. Vor der familieneigenen Angelhütte am Bayou Bosquet – so genannt wegen der mit Zypressen bewachsenen Insel in der Mitte des gemächlich dahintreibenden Gewässers – backte ein ausgestopfter, zwei Meter langer Alligator in der glühenden Hitze des Gartens. In seinen glasigen Augen spiegelte sich das Flirren des glosenden Himmels. Die Flagge des Staates Louisiana hing wie ausgewrungen am Mast.
    Selbst die Zikaden waren zu träge zum Musizieren, nur gelegentlich störte ein besonders ehrgeiziges Insekt die schlaftrunkene Atmosphäre mit einem bestenfalls halbherzigen Zirpen auf. Die Fische blieben wohlweislich unter der Wasseroberfläche und der dichten, grünen Decke aus Wasserlinsen. Sie verharrten in den schattigen, modrigen Tiefen und zeigten nur durch das periodische Pulsieren ihrer Kiemen an, dass sie noch lebten. Eine Mokassinschlange lag faul am Ufer, drohend, aber reglos.
    Der Sumpf war ein natürliches Vogelparadies, aber heute schien alles, was Federn trug, ein Nickerchen im eigenen Nest zu halten. Bis auf einen einsamen Falken. Er hockte auf dem Wipfel eines Baumes, der Jahrzehnte zuvor durch einen Blitzschlag abgestorben war. Die Elemente hatten das nackte Geäst weiß gewaschen wie ein säuberlich abgenagtes Gerippe.
    Der geflügelte Jäger behielt die kleine Hütte unten fest im Blick. Vielleicht hatte er die Maus erspäht, die zwischen dem Pfahlwerk des Angelsteges umherhuschte. Wahrscheinlicher aber war, dass ihn sein Instinkt vor der drohenden Gefahr warnte.
    Der Knall des Schusses war nicht so laut, wie man vielleicht erwartet hätte. Die Luft, dicht wie ein Daunenkissen, schien die Schallwellen zu dämpfen. Der Schuss löste kaum eine Reaktion im Sumpf aus. Die Flagge blieb verwickelt und schlaff an ihrem Mast hängen. Der ausgestopfte Alligator zuckte nicht. Nur die Mokassinschlange glitt mit einem leisen Plätschern ins Bayou, weniger aufgeschreckt als vielmehr pikiert, dass man sie aus ihrem sonntäglichen Schlummer aufgestört hatte.
    Der Falke erhob sich in die Lüfte, fast ohne einen Flügelschlag auf der Thermik reitend, um nach etwas Gehaltvollerem als der kleinen Maus Ausschau zu halten.
    An den Toten in der Hütte verschwendete er keinen Gedanken.

Kapitel 1
    »Erinnerst du dich an Slap Watkins?«
    »An wen?«
    »Den Typen, der damals in der Bar rumgestänkert hat.«
    »Etwas genauer, bitte. In welcher Bar? Wann?«
    »An dem Abend, als du hier aufgetaucht bist.«
    »Das war vor drei Jahren.«
    »Yeah, aber das hast du bestimmt nicht vergessen.« Chris Hoyle beugte sich vor, um dem Gedächtnis seines Freundes auf die Sprünge zu helfen. »Das Großmaul, das den Streit angefangen hat? Mit einer Hackfresse, dass die Uhr stehen bleibt. Und Elefantenohren.«
    »Ach, den. Klar. Mit den …« Beck hielt die Hände seitlich an den Kopf, als wären es riesige Ohren.
    »Deshalb hat ihn jeder Slap genannt«, sagte Chris.
    Beck zog eine Braue hoch.
    »Immer wenn es windig wurde, sind ihm die Ohren …«
    »An den Kopf geklatscht«, vollendete Beck den Satz.
    »Wie ein offenes Gatter im Sturm.« Grinsend erhob Chris seine Bierflasche zu einem stummen Prost.
    Die Blenden im Fernsehzimmer der Hoyles waren fest geschlossen, um die bohrenden Strahlen der Spätnachmittagssonne abzuhalten. Daher lag der Raum in einem angenehmen Halbdunkel, in dem das Fernsehbild wesentlich besser zu erkennen war. Es lief gerade ein Spiel der Braves. Ende des neunten Inning, und Atlanta konnte nur noch auf ein Wunder hoffen. Aber trotz des unerfreulichen Spielstandes gab es unangenehmere Arten, den Sonntagnachmittag zu verbringen, als in einem dunklen, klimagekühlten Fernsehzimmer eiskaltes Bier zu trinken.
    Chris Hoyle und Beck Merchant hatten schon viele Stunden in diesem Raum vergeudet. Mit dem Riesenfernseher und der Surround-Anlage war er das perfekte Männer-Spielzimmer. Es gab hier eine komplett ausgestattete Bar mit eingebautem Eiswürfelautomaten, einen Kühlschrank voller Soft
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