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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei
Autoren: Andrej Kurkow
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Dobrynin bin, dann kann ich auch ein Russe sein?!“, wiederholte der Urku-Jemze seine unverständliche Aussage, die halb Frage, halb Feststellung war.
    „Wozu möchtest du denn Russe sein? Du bist doch schon Urku-Jemze!“
    Schließlich drangen die Worte des Volkskontrolleurs zu Dmitrij durch und machten ihn nachdenklich.
    Der Panzer fuhr durch eine vor langer Zeit in die Taiga geschlagene Straßenschneise und ließ zwei Streifen Raupen­spuren hinter sich im Schnee zurück.
    Dobrynin war durstig geworden. Nach dem gestrigen Gelage herrschte solche Trockenheit in seiner Kehle, dass er, hätte ihm jemand einen Liter Obstsaft angeboten, diesen sofort geleert hätte, und das in einem Zug!
    „Haben wir hier etwas zu trinken?“, fragte Dobrynin, zu dem Panzerfahrer nach vorn gebeugt.
    „Was?“, fragte der Soldat zurück, weil er im dröhnenden Lärm des fahrenden Panzers die Worte des Volkskontrolleurs nicht verstanden hatte.
    „Trinken! Trinken!“, wiederholte Dobrynin, zeigte dem Panzerfahrer, der sich ihm zuwandte, den offenen Mund und deutete zusätzlich mit der rechten Hand dorthin.
    Der Panzerfahrer wies auf die Kiste mit dem Trinkspiritus.
    „Nein!“, brüllte Dobrynin. „Etwas anderes! Haben wir denn kein Wasser?“
    Der Panzerfahrer schüttelte den Kopf.
    Mit einem tiefen Seufzer zog Dobrynin eine Flasche aus der Kiste. Er öffnete sie, setzte sie an und verzog nach dem ersten Schluck bis zur Unkenntlichkeit das Gesicht, so widerlich schmeckte dieses Gebräu.
    Auf einmal blieb der Panzer stehen, und es wurde still.
    „Was gibt es?“, fragte Dobrynin, als er sah, dass der Panzer­fahrer an dem Sehschlitz klebte.
    Der Soldat zuckte die Achseln und kletterte aus der Luke.
    Dobrynin setzte die Flasche ab und blickte selbst durch den Sehschlitz.
    Vor dem Panzer kreuzte ein breiter Streifen aus Spuren die schneeweiße Wegschneise.
    „Vielleicht ist da eine Herde vorüber gezogen“, meinte Dobrynin achselzuckend. „Muss man denn deshalb gleich anhalten?“
    Waplachow sah ebenfalls durch den Schlitz. Er sah genauer hin und stieg im nächsten Augenblick aus der Luke.
    Dobrynin, der nicht allein im Panzer bleiben wollte, kletterte gleichfalls hinaus in die frostige Windstille. Unter seinen Füßen knirschte der Schnee.
    Sie näherten sich diesem ausgetretenen Weg.
    Und hier vergaß der Volkskontrolleur den unangenehmen Spiritusgeschmack im Mund – vor ihm im Schnee waren die Spuren Dutzender Menschen zu sehen, sie waren barfuß gewesen, man sah die Abdrücke der Zehen.
    Dmitrij hatte sich hingekauert und untersuchte die Spuren angespannt.
    Der Panzersoldat stand einfach mit offenem Mund da.
    Dobrynin runzelte die Stirn, während er versuchte, eine Erklärung für den Anblick zu finden, was ihm aber nicht gelang.
    Waplachow erhob sich, blickte aufmerksam in jene Richtung, in die die Spuren führten, und setzte sich langsam in Bewegung
    „Wo willst du denn hin?“, fragte Dobrynin.
    „Ich muss nachsehen“, antwortete Dmitrij, ohne sich umzudrehen.
    Als er an die hundertfünfzig Meter gegangen war, blieb Waplachow stehen und kauerte sich von Neuem hin, um irgendetwas zu untersuchen. Dobrynin und der Panzerfahrer liefen zu ihm.
    „Scheiße“, sagte der Panzersoldat wie zu sich selbst, als er sah, dass Waplachow tatsächlich ein dunkelbraunes Häufchen untersuchte. Es lag in der Mitte eines kleinen Kreises aus schwarzer Erde, die unter dem weggetauten Schnee hervorschaute.
    „Sie sind vor drei Tagen vorbeigekommen!“, sagte Waplachow.
    ‚Du bist ja wirklich ein Fährtenleser!‘, dachte Dobrynin. ‚Das kannst du alles aus diesem Haufen herauslesen?‘
    Der Panzerfahrer zuckte die Achseln. Auch er überlegte zweifelnd, wie viel man wohl aus der Scheiße, die jemand hinterlassen hatte, herauslesen konnte.
    „Das ist mein Volk“, erklärte Dmitrij mit bebender Stimme. „Urku-Jemzen …“
    „Was, sie leben noch?“, fragte Dobrynin verständnislos.
    Waplachow, der wieder aufgestanden war, nickte.
    „Nur sie können barfuß im Schnee gehen … Ich muss das überprüfen … Einer muss in Pelzstiefeln sein!“, sagte er, sich erinnernd. „Wenn es auch Spuren von Pelzstiefeln gibt, dann sind sie es!“
    Der Panzerfahrer und der Volkskontrolleur suchten den zerstampften Schnee mit den Augen ab.
    „Nein, nein“, sagte der Soldat und stieß dabei eine Dampfwolke aus. „Hier sind alle barfuß gelaufen! Ojojoj, bei solcher Hundekälte mit nackten Füßen durch den Schnee!“
    Dobrynin besah sich
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