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Der Tristan-Betrug

Titel: Der Tristan-Betrug
Autoren: Robert Ludlum
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stetigem Blick, ohne sonderliches Interesse.
    »Lange genug«, sagte Eigen.
    »Lange genug, um sich auszukennen«, ergänzte Madame Fontenoy mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Ich verstehe«, sagte Geneviève du Châtelet zweifelnd. Plötzlich schien sie quer durch den Saal jemanden zu erkennen. »Ah, da ist meine Großtante Benoîte. Entschuldigen Sie mich bitte, Madame Fontenoy.«
    Als die junge Frau sich verabschiedete, ruhte ihr Blick auf ihm und glitt dann bedeutungsvoll in Richtung Korridor. Daniel verstand dieses Signal sofort und nickte kaum merklich.
    Nach endlos langen zwei Minuten leeren Geplauders mit Madame Fontenoy entschuldigte auch Daniel sich. Zwei Minuten mussten reichen. Er bahnte sich seinen Weg durch die dicht gedrängte Menge, nickte allen, die seinen Namen riefen, lächelnd zu und bedeutete ihnen wortlos, er könne leider nicht stehen bleiben, weil er anderswo erwartet werde.
    *
    Ein kurzes Stück den prächtigen Flur entlang lag die ebenso prächtige Bibliothek. Die Wände und Bücherschränke bestanden aus roten chinesischen Lackarbeiten; auf den Regalen standen lange Reihen ledergebundener Bände, die nie gelesen wurden. Der Raum war leer, die im Ballsaal herrschende Kakophonie war hier nur als leises, fernes Murmeln zu hören. Im rückwärtigen Teil der Bibliothek saß Geneviève, in Aubusson-Kissen zurückgelehnt, auf einem Diwan: hinreißend in ihrem schwarzen Abendkleid, über dem die Haut ihrer bloßen Schultern makellos leuchtete.
    »Oh, Gott sei Dank!«, flüsterte sie drängend. Sie sprang auf, lief zu Daniel und schlang ihm die Arme um den Hals. Er küsste sie lange und leidenschaftlich. Nach einer Minute löste sie sich aus seiner Umarmung. »Ich war so froh, als du heute Abend gekommen bist. Ich hatte schreckliche Angst, du könntest etwas anderes vorhaben.«
    »Wie kannst du so was sagen?«, protestierte Daniel. »Würde ich eine Gelegenheit verpassen, dich zu sehen? Du redest Unsinn.«
    »Das liegt nur daran, dass du so ... so diskret bist, so darauf achtest, dass meine Eltern nichts von uns erfahren. Jedenfalls bist du jetzt hier. Gott sei Dank! Diese Leute sind so langweilig. Ich dachte, ich müsste sterben. Alle reden nur von Essen, Essen, Essen.«
    Eigen streichelte die cremeweißen Schultern seiner Geliebten, ließ die Fingerspitzen bis zur Wölbung ihrer Brüste hinabgleiten. Er roch den Duft des Parfüms Shalimar, das er ihr geschenkt hatte. »Gott, wie sehr du mir gefehlt hast«, murmelte er.
    »Wir haben uns fast eine Woche lang nicht gesehen«, sagte Geneviève. »Warst du in dieser Zeit auch artig? Nein, warte . sag lieber nichts. Ich kenne dich, Daniel Eigen.«
    »Du kannst immer durch mich hindurchsehen«, sagte Eigen leise.
    »Ach, ich weiß nicht recht«, sagte Geneviève mit kokett geschürzten Lippen. »Du bist ein Mann mit vielen Schichten, glaube ich.«
    »Vielleicht könntest du ein paar von mir abschälen«, sagte Daniel.
    Geneviève machte ein schockiertes Gesicht, aber das war reine Koketterie, und sie beide wussten es. »Nicht hier, wo jeden Augenblick jemand reinkommen kann.«
    »Nein, du hast Recht. Komm, wir gehen irgendwohin, wo uns keiner stört.«
    »Ja, in den Salon im ersten Stock. Dorthin verirrt sich niemand.«
    »Außer deiner Mutter«, sagte Daniel Eigen kopfschüttelnd. Ihm war eben etwas eingefallen. »Wir gehen ins Arbeitszimmer deines Vaters. Dort können wir hinter uns absperren.«
    »Aber mein Vater bringt uns um, wenn er uns dort erwischt!«
    Daniel nickte trübselig. »Ah, ma cherie, du hast sicher Recht. Ich fürchte, wir sollten wieder zu den anderen gehen ...«
    Geneviève schüttelte erschrocken den Kopf. »Nein, nein, nein!«, sagte sie. »Ich ... ich weiß, wo er einen Nachschlüssel aufbewahrt. Komm, wir müssen uns beeilen!«
    Er folgte ihr aus der Bibliothek, durch die Tür, hinter der eine schmale Dienstbotentreppe in den ersten Stock hinaufführte, dann einen langen, schwach beleuchteten Korridor entlang, bis sie vor einer kleinen Nische mit einer Marmorbüste von Marschall Petain Halt machte. Daniels Herz jagte. Er war im Begriff, etwas Gefährliches zu tun, und Gefahr empfand er immer als stimulierend. Er hatte Spaß daran, gefährlich zu leben.
    Geneviève griff hinter die Büste, holte mit einer raschen Bewegung den Nachschlüssel hervor und sperrte damit die Doppeltür zum Arbeitszimmer ihres Vaters auf.
    Die schöne junge Geneviève ahnte natürlich nicht, dass Daniel schon im Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen war.
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