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Der Tristan-Betrug

Titel: Der Tristan-Betrug
Autoren: Robert Ludlum
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knipste sie das Licht aus, sodass der Raum in tiefer Dunkelheit lag. Daniel bewegte sich trotzdem mühelos weiter; er hatte eine klare Vorstellung davon, wie das Arbeitszimmer eingerichtet war und wo Hindernisse standen.
    Geneviève schnappte erschrocken nach Luft, als sie merkte, dass die andere Tür ebenfalls abgesperrt war. Aber Daniel hatte den Schlüssel mitgebracht. Hätte er das nicht getan, hätten diese wenigen vergeudeten Sekunden bedeutet, dass sie ertappt worden wären. Er sperrte rasch auf. Die Tür klemmte ein wenig, als er sie aufstieß; sie wurde nur selten benützt. Er schob Geneviève vor sich her auf einen schmalen, dunklen Flur hinaus, schloss die Tür hinter sich und verzichtete darauf, sie abzusperren. Da der Schlosszylinder leicht rostig war, bestand die Gefahr, dass die beiden Männer dieses Geräusch hören würden.
    Er konnte hören, wie der Haupteingang des Arbeitszimmers aufgesperrt wurde und die beiden Männer, die weiter miteinander sprachen, eintraten.
    Genevièves Hand umklammerte Daniels Arm. Spitze Fingernägel bohrten sich wie Krallen in den Seidenstoff seines Smokingärmels. Vielleicht hörte sie das Rascheln der steifen Papiere im Jackettfutter, doch sie schien es nicht zu beachten. »Was tun wir jetzt?«, flüsterte sie.
    »Du gehst über die Personaltreppe in die Küche hinunter und mischst dich wieder unter die Gäste.«
    »Aber die Dienstboten .«
    »Die wissen nicht, woher du kommst und warum du die Personaltreppe benützt hast. Und außerdem sind sie diskret.«
    »Aber wenn du mir wenige Minuten später folgst ...!«
    »Das darf ich natürlich nicht. Sie würden zwei und zwei zusammenzählen, und dann wärst du erledigt.«
    »Aber wohin willst du?« Sie flüsterte etwas zu laut.
    »Mach dir meinetwegen keine Sorgen«, sagte er. »Ich komme bald nach. Wenn deine Mutter dich fragt, wohin ich verschwunden bin, hast du natürlich keine Ahnung.«
    Weil Geneviève nicht die klügste Frau war, die Daniel je kennen gelernt hatte, hielt er's für nötig, ihr das alles zu erläutern.
    »Aber wohin ...?«, begann sie.
    Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Geh jetzt, ma cherie.«
    Als Geneviève sich abwenden wollte, berührte er nochmals ihre Schulter. Sie drehte sich um, und er küsste sie rasch auf die Lippen. Dann zog er das Oberteil ihres Abendkleids zurecht, beobachtete, wie sie die Treppe hinunterging, und hastete anschließend selbst nach oben. Da seine Schuhe Gummisohlen hatten, die heutzutage fast schwerer zu bekommen waren als Ledersohlen, bewegte er sich fast lautlos.
    Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, analysierte die bisherigen Ereignisse und versuchte, einen Fluchtplan auszuarbeiten. Er hatte gewusst, dass er Geneviève heute Abend begegnen würde, aber er hatte nicht mit einer Chance gerechnet, ins Arbeitszimmer ihres Vaters einzudringen - eine Chance, die er sich auf keinen Fall hatte entgehen lassen dürfen. Aber nachdem er nun einen dicken Stapel Papier in sein Jackett gestopft hatte, war es keine gute Idee, in einen übervollen Ballsaal zurückzukehren, in dem jemand mit ihm zusammenstoßen, das Rascheln hören und die entwendeten Dokumente bei ihm finden konnte.
    Diese Gefahr ließ sich allerdings umgehen. Er konnte in der Garderobe seinen Mantel suchen, indem er vorgab, er habe darin sein Feuerzeug vergessen. Bei dieser Gelegenheit konnte er die Schriftstücke in die Innentasche seines Mantels stecken. Aber dabei riskierte er, gesehen zu werden, weil es vermutlich eine Garderobenfrau gab.
    Belanglos war dieses Risiko jedoch im Vergleich zu der weit gefährlicheren Möglichkeit, dass durch seine Rückkehr in den Ballsaal entdeckt wurde, dass er mit Geneviève im Arbeitszimmer ihres Vaters gewesen war. Die Personaltreppe führte direkt in die Küche, die er vor den Augen der Dienstboten wenige Minuten nach Geneviève durchqueren würde. Zweifellos würden sie zwei und zwei zusammenzählen. Solche Leute waren keineswegs diskret, wie er Geneviève versichert hatte, und sie kannte die Wahrheit vermutlich ebenfalls: Dienstboten gierten nach Klatsch über solche Heimlichkeiten.
    Eigen scherte sich nicht um Geflüster und Klatsch und Gerüchte. Was kümmerte es ihn, wenn Marie-Hélène du Châtelet erfuhr, dass er heimlich mit ihrer Tochter geknutscht hatte? Nein, es war die Kette von Enthüllungen, die ihm Sorgen machte, denn er konnte bis ganz an ihr Ende sehen. Irgendwann würde der comte merken, dass bestimmte, für die nationale Sicherheit überaus
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