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Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Autoren: Charles Bukowski
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Nach dem langen Ablehnungsbescheid
    Ich lief draußen herum und dachte darüber nach. Es war die längste, die ich je bekommen hatte. Sonst schrieben sie immer nur: »Sorry, das hat nicht ganz gereicht«, oder: »Sorry, das hat nicht so reingepasst«. Meistens begnügten sie sich mit der vorgedruckten Ablehnung.
    Aber das hier war die längste, die ich je bekommen hatte. Sie galt meiner Story »Meine Abenteuer in einem halben Hundert Pensionen«. Ich stellte mich unter eine Straßenlaterne, nahm den Brief aus der Tasche und las ihn noch einmal –
Lieber Mr Bukowski,
wieder haben Sie ein Konglomerat von unerhört gutem und anderem Lesestoff vorgelegt, das so voll von idealisierten Huren, Kotzszenen am Morgen danach, Menschenhass und Lob auf den Selbstmord ist, dass es sich für eine einigermaßen auflagenstarke Zeitschrift nicht eignet. Allerdings singen Sie das Epos eines bestimmten Menschenschlags, und ich finde, Sie mühen sich redlich. Eines Tages drucken wir Sie vielleicht, wenn ich auch nicht genau weiß, wann das sein wird. Das hängt von Ihnen ab.
Mit freundlichen Grüßen,
Whit Burnett
    Na, ich kannte die Unterschrift: das mit dem ›W‹ verflochtene lange ›h‹ und den Steilstrich am ›B‹, der die halbe Seite runterging.
    Ich steckte den Brief wieder ein und lief die Straße entlang. Ich fühlte mich ziemlich gut.
    Schrieb ich doch erst seit zwei Jahren. Gerade mal zwei Jahre. Hemingway hatte zehn Jahre gebraucht. Und Sherwood Anderson war vierzig, bis etwas von ihm gedruckt wurde.
    Allerdings würde ich wohl das Trinken und die Frauen von üblem Ruf aufgeben müssen. Wobei Whiskey ohnehin schwer zu kriegen war und der Wein mir den Magen ruinierte. Millie jedoch – Millie, das war schon schwieriger, viel schwieriger.
    … Aber Millie, Millie, wir müssen an die Kunst denken. Dostojewskij, Gorki für Russland, und jetzt sucht Amerika einen Osteuropäer. Amerika ist die Browns und Smiths leid. Die Browns und Smiths sind zwar gute Schriftsteller, aber es gibt zu viele von ihnen, und sie schreiben alle gleich. Amerika wünscht sich die krause Schwermut, das unpraktische Denken und die unterdrückten Begierden der Osteuropäer.
    Millie, Millie, deine Figur ist genau richtig: alles läuft straff auf die Hüfte zu, und dich zu lieben ist so einfach wie das Handschuhanziehen, wenn der Frost kommt. In deiner Bude ist es immer warm und hell, und du hast Schallplatten und Käsebrote auf Lager, das gefällt mir. Und weißt du noch, Millie, deine Katze? Als sie noch unser kleiner Kater war? Wie ich ihm beibringen wollte, Pfötchen zu geben und sich auf den Rücken zu wälzen, und du sagtest, eine Katze ist kein Hund, das geht nicht? Es ging aber doch, Millie, oder? Jetzt ist der Kater groß und war trächtig und hat Junge bekommen. Aber damit muss Schluss sein, Millie: keine Katzen und Kurven und keine Sechste von Tschaikowski mehr. Amerika braucht einen Osteuropäer …
    Inzwischen war ich bei meiner Pension angekommen und wollte reingehen, da sah ich Licht in meinem Fenster. Ich schaute rein: Carson und Shipkey saßen mit jemandem am Tisch, den ich nicht kannte. Sie spielten Karten, und vor ihnen stand eine große Henkelflasche Wein. Carson und Shipkey waren Maler, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie wie Salvador Dalí oder wie Rockwell Kent malen sollten, und während sie sich darüber klarzuwerden versuchten, arbeiteten sie auf der Werft.
    Dann sah ich, dass auf meiner Bettkante ganz still ein Mann hockte. Er hatte einen Schnurrbart und ein Ziegenbärtchen und kam mir bekannt vor. Das Gesicht hatte ich schon mal gesehen. In einem Buch, in der Zeitung, in einem Film vielleicht. Wo?
    Dann fiel es mir ein.
    Als es mir einfiel, wusste ich nicht, ob ich reingehen sollte oder nicht. Denn was sagte man? Wie benahm man sich? Bei so jemandem war das ein Problem. Man musste aufpassen, dass man nichts Falsches sagte, mit allem musste man sich vorsehen.
    Ich entschloss mich, erst einmal um den Block zu gehen. Irgendwo hatte ich gelesen, dass das gegen Nervosität hilft. Als ich abzog, hörte ich Shipkey fluchen, und dann ließ jemand ein Glas fallen. Das half mir weniger.
    Ich entschloss mich, mir ein paar Worte zurechtzulegen. »Wirklich, aufs Reden versteh ich mich nicht besonders. Ich bin in mich gekehrt und verkrampft. Ich heb mir das alles auf und bring es zu Papier. Auch wenn Sie jetzt von mir enttäuscht sind, ich war schon immer so.«
    Das müsste genügen, fand ich, und als ich den Block einmal
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