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Der Tristan-Betrug

Titel: Der Tristan-Betrug
Autoren: Robert Ludlum
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erneuten Blick auf die Avenue unter ihm überkam ihn Angst, aber dann konzentrierte er sich auf die Wichtigkeit seines Auftrags, und der kleine Anfall von Panik verflog.
    Nach etwa einer halben Minute war die nächste Trennmauer erreicht. Sie war merklich dicker als die anderen, weil in ihr tönerne Entlüftungsrohre und Kaminzüge verliefen. Aus einigen Zügen quoll Rauch, der bewies, dass die Hausbewohner zu den Glücklichen gehörten, die es behaglich warm hatten, weil sie Kohle verbrennen konnten. Er griff nach einem Entlüftungsrohr, das sich kalt anfühlte, zog sich daran hoch und bemerkte dabei etwas Interessantes.
    Auf der Rückseite des Stadthauses ragte die Brandmauer ein gutes Stück in den Hinterhof hinein. Ungefähr einen Meter von der Dachtraufe entfernt waren in die Mauer Eisensprossen eingelassen, die bis auf den dunklen Hof hinunterführten. Diese Sprossen benützte der Schornsteinfeger offenbar als Leiter, wenn die Kaminzüge gekehrt werden mussten.
    Im ersten Augenblick war Daniel ratlos. Die Sprossen waren zu weit entfernt. Er konnte nicht, auf der Mauer stehend, versuchen, sich zwischen den Kaminzügen hindurchzuschlängeln, denn dafür war sie nicht breit genug. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu den Tonröhren hinaufzugreifen und sich mit baumelnden Beinen wie ein Affe von einer zur anderen weiterzuhangeln. Die Röhren waren zum Glück stabil und von so geringem Durchmesser, dass er sich an jeder gut festhalten konnte.
    So hangelte Daniel sich einige Minuten lang weiter, bis er die senkrecht in die Tiefe hinabführenden Eisensprossen erreicht hatte. Während er nach der obersten Sprosse griff, landeten seine Füße schon zwei Sprossen tiefer. Nun konnte er wie auf einer Leiter hinuntersteigen - anfangs langsam, dann immer schneller, je näher er dem Erdboden kam.
    Unten blieb er einen Augenblick auf dem verlassenen Hinterhof stehen. Die Hoffenster des Stadthauses waren dunkel. Der Rauch aus den Kaminen zeigte, dass dieses Haus bewohnt war, aber seine Bewohner schliefen wohl schon. Daniel ging langsam, geräuschlos über den gepflasterten Hof. In den hohen Holzzaun war ein Tor eingelassen, das wie erwartet abgesperrt war. Im Vergleich zu seiner Dachartistik war dies ein harmloses Hindernis, kaum der Rede wert. Er erkletterte den Zaun, sprang drüben hinunter und fand sich auf einer Gasse wieder, die parallel zur Avenue Foch verlief.
    In diesem Teil der Stadt kannte Daniel sich gut aus. Er unterdrückte den Drang, loszurennen, und schlenderte die Gasse entlang, bis er eine schmale Seitenstraße erreichte. Unterwegs überzeugte er sich davon, dass die Papiere noch im Futter seines Jacketts steckten.
    Auch diese Straße war dunkel, unheimlich menschenleer.
    Er kam an den unbeleuchteten Fenstern einer Buchhandlung vorbei, die einem Juden gehört hatte, bis die Deutschen den Besitzer enteignet hatten. Auf dem großen weißen Werbebanner über dem alten Firmenschild stand zwischen Hakenkreuzen in Frakturschrift das Wort FRONTBUCHHANDLUNG. Früher war dies eine elegante Buchhandlung für fremdsprachige Literatur gewesen; jetzt war sie auf andere Weise fremdsprachig, weil sie ausschließlich deutsche Bücher verkaufte.
    Spuren der deutschen Besatzer waren überall zu erkennen, aber seltsamerweise hatten sie keines der berühmten Wahrzeichen, keines der geliebten Bauwerke dem Erdboden gleichgemacht. Die Nazis hatten nicht versucht, das Paris, das jeder kannte, zu zerstören. Stattdessen wollten sie es einfach annektieren - und sich Europas Kronjuwel aneignen. Aber die Art und Weise, wie die Deutschen Paris ihren Stempel aufgedrückt hatten, wirkte seltsam schluderig und provisorisch. Wie das Werbebanner mit dem Wort FRONTBUCHHANDLUNG, das hastig über dem in Stein gehauenen Namen der Buchhandlung angebracht worden war. All der viele weiße Stoff ließ sich augenblicklich wieder entfernen. Als wollten sie vermeiden, dass ihr neues Juwel Kratzer bekam. Als sie erstmals versucht hatten, auf dem Eiffelturm die Hakenkreuzfahne zu hissen, hatte der Wind sie zerfetzt, sodass sie eine andere Fahne hatten herbeiholen müssen. Selbst Hitler hatte die Stadt wie ein verlegener Tourist nur für ein paar Stunden besucht. Er hatte nicht einmal dort übernachtet. Paris wollte sie nicht haben, das wussten sie sehr wohl.
    Deshalb schlugen sie überall ihre Plakate an. Daniel sah sie an den Mauern der Gebäude, an denen er vorbeikam - alle so hoch angeklebt, dass man sie kaum lesen konnte, aber das hatte seinen
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