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Der Tristan-Betrug

Titel: Der Tristan-Betrug
Autoren: Robert Ludlum
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Fensterrahmens, schwang die Beine hoch und machte gleichzeitig ein Hohlkreuz, damit sie über die Fensterbank ins Freie glitten. Seine Schuhabsätze rutschten ab, sobald sie das vereiste Teerdach berührten. Statt den Fensterrahmen loszulassen, umklammerte er ihn weiterhin und baumelte nun halb drinnen, halb draußen. Dabei scharrte er mit den Absätzen über den Teer, bis er so viel Eis weggekratzt hatte, dass eine raue Oberfläche frei wurde, die ihm etwas Halt bot.
    Aber er konnte dem Steildach nicht genug trauen, um den Fensterrahmen loszulassen. Links von der Dachgaube ragte in ungefähr einem Meter Entfernung ein hoher gemauerter Schornstein auf. Daniel nahm die rechte Hand vom Fensterrahmen und drehte seinen Körper über den linken Fuß so auf den Bauch, dass er sich an dem Schornstein festhalten konnte, ohne das Fensterbrett schon loszulassen.
    Das Mauerwerk unter seiner Hand fühlte sich kalt und rau an. Die Rauheit war jedoch gut. Der Mörtel zwischen den Ziegeln war alt und so bröselig, dass er seine Fingerspitzen in die Spalten schieben und sich am Schornstein festklammern konnte. Als er den Körper versteifte und ein labiles Gleichgewicht fand, konnte er auch die linke Hand vom Fensterbrett nehmen, rasch umgreifen und sich nun mit beiden Händen am Schornstein festhalten.
    Daniel schob die Füße nacheinander über das vereiste Dach und scharrte mit den Schuhen, bis er wieder eine Fläche geschaffen hatte, auf der er sicheren Halt hatte. Dadurch kam er so nahe an den Schornstein heran, dass er ihn umarmen konnte wie ein Kletterer einen Felspfeiler. Obwohl er zum Glück durchtrainiert war, musste er alle Kraft aufwenden, um sich an dem Schornstein hochzuziehen, während er mit den Absätzen einen neuen Standplatz aus dem Eis scharrte.
    Er wusste, dass Einbrecher im vorigen Jahrhundert oft auf diese Weise von einem Stadthaus zum anderen gelangt waren. Da er diese Methode schon mehrmals selbst angewandt hatte, wusste er, dass sie viel schwieriger war, als sie aussah. Und er bezweifelte, dass ein Einbrecher jemals so dämlich oder selbstmörderisch gewesen wäre, um auf diese Weise im Eis und Schnee eines Pariser Winters herumzuklettern.
    Daniel kletterte ein Stück weit den Schornstein hinauf, bis er die niedrige Mauerbrüstung erreichte, die dieses Dach von dem des Nachbarhauses trennte. Er stellte erleichtert fest, dass das Dach vor ihm nicht geteert, sondern mit halbrunden Tonziegeln gedeckt war. Auch sie konnten eisglatt sein, aber ihre gewellte Oberfläche würde wenigstens gewissen Halt bieten. Wie sich dann zeigte, konnte er auf den Ziegeln verhältnismäßig leicht nach oben laufen. Der Dachfirst dieses Hauses lief nicht spitz zu, stellte er fest, sondern bildete einen gut einen halben Meter breiten Steg. Daniel erkletterte ihn, machte ein paar vorsichtige Schritte und merkte, dass der Steg gut begehbar war. Nun konnte er das Dach auf dem First überqueren, indem er über den Steg balancierte und dabei leicht schwankte, als sei er auf einem Hochseil unterwegs.
    Tief unter ihm lag die Avenue Foch: dunkel und verlassen, die Straßenbeleuchtung war wegen der angeordneten Stromrationierung ausgeschaltet. Daniel war sich bewusst, dass jeder, der auf dem für ihn sichtbaren Straßenstück unterwegs war, auch ihn hätte sehen können, weil hier keine Dachbrüstung die Sicht versperrte.
    Und es gab weitere Möglichkeiten, entdeckt zu werden. Jeder, der in einem der gegenüberliegenden Gebäude aus einem Fenster in einem der oberen Stockwerke sah, würde ihn sehen. Und die Leute waren heutzutage ungewöhnlich wachsam, weil sie überall Spione und Saboteure witterten. Niemand, der nachts einen Mann auf einem Dach herumklettern sah, würde zögern, La Maison - die Préfecture de Police - anzurufen. Dies war die Zeit der anonymen Denunziationen, in der Franzosen sich gegenseitig mit einer Anzeige bei der deutschen Kommandantur drohten. Deshalb war die Gefahr, dass Daniel entdeckt wurde, durchaus real.
    Er bewegte sich so schnell, wie er gerade noch riskieren durfte, bis er die niedrige Brandmauer erreichte, die dieses Dach vom nächsten trennte. Wie das Hotel du Chatelet hatte das Nachbarhaus ein Mansardendach, das jedoch in Schiefer gedeckt war. Auch sein First war als Steg - wohl für den Schornsteinfeger - ausgebildet, aber viel schmaler als der vorige, er maß höchstens dreißig Zentimeter.
    Daniel balancierte über den First, indem er jeweils den linken Fuß vorschob und den rechten nachzog. Bei einem
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