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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig
Autoren: zu KLAMPEN
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    Die letzten Meter rollte der Wagen mit ausgestelltem Motor aus eigener Kraft. Die Stille war vollkommen, kein Auto, kein Vogel,
     nichts. Sie kannte die Hütte vom Vorbeifahren, zuerst war ihr das weit heruntergezogene Dach aufgefallen. Von der Lampe, die
     brannte, neben der Haustür und über dem Schaukelstuhl, sah sie nur den schwachen Schein.
    Die Hütte wirkte amerikanisch, als hätte der Erbauer sie aus einem Western abgekupfert. Vor der Terrasse wucherte es in liederlichen
     Rabatten. Dahlien, Astern, wohl auch Rosen. Bei diesem Licht sahen alle dunklen Farben aus wie Schwarz.
    Sie stieß die Autotür auf, schwer, massiv, das Seufzen der Scharniere. Alte Volvos waren nicht kaputtzukriegen, sie fuhr ihren
     seit 14 Jahren. Sie ging aufs Haus zu, in der Hand die abgewetzte Ledertasche, die alles enthielt, was nach menschlichem Ermessen
     notwendig werden könnte. Das rechte Fenster war mit einem Vorhang abgedunkelt, das Fenster links war nicht erleuchtet, aber
     es war eine andere Dunkelheit, nicht so hermetisch.
    Sie stand vor der Haustür und immer noch war alles still. Bis jetzt war das beruhigend gewesen, nun war es nicht mehr normal.
     Eine Geburt bringt die Menschen auf Trab. Sie bewegen sich, wenn auch nicht hektisch. Sie sprechen, wenn auch nicht laut.
     Jemand hatte die Hebamme angerufen, eine weibliche Stimme, aufgeregt. Das hatte nichts zu bedeuten. Keine junge Frau war erfahren
     in Geburten – bis auf die, die |6| mit 16 ihr erstes Kind bekamen und dann nicht mehr damit aufhörten.
    Einen Klingelknopf gab es nicht, sie klopfte an die Tür und rief betont munter: »Die Hebamme ist da.« Sie hatte erlebt, dass
     Menschen bei diesen Worten in Tränen ausgebrochen waren, weil man endlich die Verantwortung in die Hände einer Frau legen
     konnte, die mit dem Gebären auf vertrautem Fuß stand.
    Schon beim ersten Klopfen hatte sie es gespürt, aber da noch nicht wahrhaben wollen. Als sie erneut klopfte, stärker diesmal,
     war kein Zweifel mehr möglich. Die Tür war angelehnt und schwang nach innen.
    Ein einziger Raum, auf der linken Seite der Herd mit Tisch und Sitzbank, rechts vorne Sofa und Sessel, auf der Hälfte der
     Strecke die Anrichte, so hoch, dass man das Bett dahinter erst auf den zweiten Blick wahrnahm. Ein breites Bett, gedunkeltes
     Holz, mit dem seit Jahrzehnten gelebt wurde. Nichts aus dem Baumarkt, alles war schier, stark und echt, von geschickten Händen
     geschreinert. Aber nichts sah nach einer Geburt aus, wenn auch das Bett ungemacht war und auf der linken Seite so wirkte,
     als ob …
    Die Hebamme stand vor der Decke, unter der sich ein Körper abzeichnete. Sie wusste, dass eine Geburt nicht notwendigerweise
     ohne Schwierigkeiten ablaufen muss. Komplikationen konnten auftreten, aber es gab Griffe, Mittel, Psychologie. Manchmal half
     alles nichts, dann brauchte die Hebamme Hilfe. Aber hier drängten sich keine klagenden Weiber ums Bett und vor dem Haus stand
     kein Rettungswagen. Hier war nur die Decke, unter der ein großer Körper lag. Ursprünglich war die Decke wohl grün gewesen,
     ein |7| helles Frühlingsgrün, zu dem die klatschnassen Flecken auf verstörende Weise passten. Viel war nicht zu erkennen, nur die
     Lampe auf dem Nachttisch brannte. Über dem Schirm lag ein Tuch, um das Licht zu mildern. Das Tuch milderte auch die nassen
     Flecken auf dem Fußboden.
    Die Hebamme hatte es nicht eilig, die Bettdecke wegzunehmen. Sie wusste, was sie erwarten würde. Sie kannte noch nicht den
     Grund. Aber das Ende kannte sie.
    Dann bewegte sich die Decke.
    Der Mann mit dem nackten Oberkörper war offensichtlich tot, niemand überlebte solche Verletzungen. Von der Brust abwärts schwamm
     er in Blut. Dicht an ihn geschmiegt, lag der Säugling, nackt und blutig. Aber das Mädchen lebte. Sie war winzig. Ihre Augen
     blickten ins Nirgendwo. Die Hebamme stellte die Tasche ab und eilte zur Spüle. Sie brauchte Wasser, um das Kind zu reinigen.
     Aber bevor sie das Becken erreichte, verlor sie den Boden unter den Füßen. Die Gestalt, die aus der Dunkelheit auftauchte,
     rannte sie über den Haufen und floh aus dem Haus.

|8| ERSTER TAG
2
    »Was soll das denn?«, fragte Karolina Wiese und trat einen Schritt zurück.
    »Willkommen in unserer Heimat«, sagte die Frau lächelnd und reichte der Hauptkommissarin auf beiden Händen ein kleines Brot.
     Neben ihr stand der Mann mit der Schnapsflasche. Er goss die Gläser voll, die auf dem Mäuerchen standen. Ein Glas gab er der
    
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