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Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman

Titel: Der Tod wohnt nebenan Kriminalroman
Autoren: Francisco Gonz lez Ledesma
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befragen. Man sieht ihr an, wie schlecht es ihr geht, sie hat ein Mordskrebsgeschwür. Gerade war der Arzt da, den sie wohl auch schon seit Jahren kennt. Ich werde später versuchen, mit ihm zu sprechen, falls der Köter ihn nicht in Stücke reißt.«
    *
    »Sie sehen besser aus, Ruth«, sagte der schon sehr betagte Arzt. »Es ist heiß im Zimmer, aber Sie sehen gut aus. Ich denke, wir können mit der Dosis heruntergehen«, und mit einer Handbewegung fügte er hinzu, »doch erst einmal müssen sie dieses Bild von der Wand nehmen. Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen konnten, es dort aufzuhängen.«
    Die Reproduktion von Munchs Der Schrei zeigt ein Frauengesicht, dessen formloser Mund ein letztes Heulen ausstößt, ein Schmerz, der aus der Luft kommt, aber in den Eingeweiden lebt, und im Hintergrund ein paar Wolken, die uns nicht mehr gehören, die nicht mehr von unserer Welt sind. Der Schrei im Zimmer einer Frau, die sterben wird, einer schreienden Frau.
    »Hängen Sie es ab.«
    »Es ist eine ausgezeichnete Reproduktion. Außerdem ist es ein Geschenk.«
    »Wie originell!«
    »Dasselbe könnte ich von Ihnen sagen. Sie faseln etwas von schwächerer Dosierung und geben mir immer stärkere Schmerzmittel. Als wäre ich blöd. Ich merke, dass es bergab geht, dass ich keine Chance habe. Das Einzige, worum ich Sie bitte, ist, dem Leiden ein Ende zu machen. Aber nicht mit Schmerzmitteln oder irgendwelchem Katzenlebertrunk. Ich habe Sie gebeten, mir einen gütigen Tod zu schenken, Doktor. Sie haben mich ein ganzes Leben lang behandelt. Und Sie beschwindeln mich und verlängern mein Sterben. Wir glauben heutzutage alle an die Euthanasie, und Sie verfügen über Mittel und Wege … Lassen Sie uns dem Ganzen ein Ende machen.«
    Der Arzt hob hilflos die Arme.
    »Hören Sie auf, ich kann nicht … Ich kann das nicht einfach nach Gutdünken entscheiden, verstehen Sie doch, zumal es noch Hoffnung gibt. Ich bitte Sie doch nur, an mich zu glauben.«
    Die Kranke lächelte. Sie warf ein eisiges, zahnloses Lächeln in die Luft, leblos, wie das Lächeln eines mechanischen Totenkopfes.
    »Natürlich glaube ich an Sie, na klar. Ich glaube, Sie sollten zur Hölle fahren.«
    *
    »Ich werde die Ermittlungen in diesem Viertel fortsetzen, Herr Hauptkommissar«, Méndez senkte seine Stimme. »Das ist zwar nicht mein Viertel und ich bin gerade erst vom Nesselfieber genesen, aber ich werde meiner Pflicht nachkommen. Lange werde ich dafür ohnehin nicht brauchen, denn ich weiß bereits …«
    Méndez flüsterte jetzt: »Ich weiß bereits, wer diesen Omedes umgebracht hat. Ein Kerl namens Miralles. Nein, beglückwünschen Sie mich nicht, Herr Hauptkommissar, es war ganz einfach, ein wenig umhören, ein Blick in die Register und ein Besuch auf dem Friedhof.«

6
    »Soso, ein Friedhofsbesuch.«
    Der Satz kam aus dem Mund von Señor Carrasco, dem bekannten Besitzer einer ebenso bekannten Kneipe. Als die Firma, bei der er arbeitete, geschlossen wurde, hatte man Señor Carrasco vorzeitig in Ruhestand geschickt, und mit dem Vorruhe- und dem Arbeitslosengeld hatte er eine Kneipe aufgemacht, für die er rasch einen Namen gefunden hatte: La Anticipada – Vorruhestand. In ihr wurden Kaffee, Erfrischungsgetränke, hausgemachte Speisen, Bier vom Fass und Tresterschnäpse mit Echtheitszertifikat serviert, die ein Landsmann von ihm eigens aus Galicien mitgebracht hatte. Die Unterschrift konnte ebenso gut vom heiligen Apostel Santiago stammen.
    Der Wirt sagte:
    »Sachen gibt’s … Ein Friedhofsbesuch.«
    »Ich habe einen letzten Blick auf das Abrisshaus geworfen, dessen Wände in mir so nostalgische Gefühle wecken. Sie wissen ja, ich bin einer dieser namenlosen Polizisten, die die Tatorte mehrfach besuchen, weil die Orte zu mir sprechen. Ich bin auch in das Viertel gegangen, in dem Madame Ruth heute lebt. Na ja, leben kann man das wohl nicht mehr nennen, nicht einmal im Scherz, denn sie hat Krebs im Endstadium, und zu allem Überfluss wird sie von einer ihrer ehemaligen Huren gepflegt, der man ansieht, dass sie sie hasst. Eine schlimmere Hölle kann man sich nicht vorstellen. Mein Chef hat mich da hingeschickt. Er hat behauptet, ich sei der Einzige, der die Zeit dazu habe. Doch schon als ich diese Kneipe betrat, wusste ich, wer diesen Omedes umgebracht hat, den Toten, von dem die Hausbewohner Abschied genommen haben.«
    »Mensch, Señor Méndez, Sie sind ein Genie. Und alles durch den Besuch eines Grabes.«
    »Natürlich habe ich mit den Leuten hier
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