Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwein gehabt

Schwein gehabt

Titel: Schwein gehabt
Autoren: Martin Springenberg/Michael Bresser
Vom Netzwerk:
1

    G uten Morgen. Hier spricht dein Wecker. Aufstehen.«
    »Guten Morgen. Hier spricht dein Wecker. Aufstehen.«
    Eine metallische Stimme fraß sich in meinen Gehörgang. Ich zog die Decke über den Kopf und drehte mich zur Seite.
    »Guten Morgen. Hier spricht dein Wecker. Aufstehen.«
    Es half alles nichts. Ich richtete mich auf. Als ich aus dem Fenster blickte, starrte mich gähnende Schwärze an.
    Nachdem ich die Quelle der nächtlichen Ruhestörung abgeschaltet hatte, begann mein Verstand zu arbeiten. Wie heiße ich? Wo bin ich? Warum spricht mein Wecker? — Dieter Nannen. Weiß nicht. Weiß nicht.
    Ich kroch aus dem Bett und versuchte den Lichtschalter zu finden. Fehlanzeige. Auf dem Tisch bekam ich eine Kerze und Streichhölzer zu fassen. Als sich im flackernden Kerzenlicht die ersten Konturen aus der Dunkelheit herauskristallisierten, fiel mir ein, was sich noch vor wenigen Minuten meinem Bewusstsein entzogen hatte.
    Ich befand mich in einem Bauernhaus in Buldern und musste das Vieh füttern.
    Was hatte ein achtundzwanzig Jahre alter Betriebswirt aus der Großstadt auf einem Gehöft in der Provinz zu suchen?

    05.04. 2004, 8.30 Uhr.
    Anwaltskanzlei und Notariat Meuer in Münster .

    »Mein herzliches Beileid, Herr Nannen.«
    »Danke. Aber wofür?«
    »Hatten wir das in unserem Brief nicht erwähnt? Hugo Simon ist vor sechs Wochen von uns gegangen und Sie sind sein Alleinerbe .«
    Während Meuer eine halbe Stunde lang die menschlichen Qualitäten Simons rühmte, begann ich zu erahnen, von wem er redete. Ich kannte ihn nur als Onkel Hugo, aber genau genommen war er nicht mit mir verwandt. Bevor meine Mutter meinen Vater kennen lernte, hatte sie eine fünfjährige Liaison mit Simon gehabt. Diese endete, als sie sich in die blauen Augen des Bankiers Klaus Nannen verliebte, der bald darauf um ihre Hand anhielt. Nach der Heirat zog das Paar von Frankfurt nach Essen.
    Hugo Simon aber gab sich nicht geschlagen. Er war so verliebt in Mom , dass er regelmäßig in unserer Villa am Baldeney -See auftauchte. Dabei machte er meiner Mutter schöne Augen und versorgte mich stets mit den neuesten Spiderman- und Phantomheftchen.
    Da sie es mit der Treue nicht so genau nahm, war die Ehe inzwischen zerrüttet, doch daraus konnte Hugo leider keinen Vorteil ziehen. Weil sie sich an den Luxus des Schickerialebens gewöhnt hatte, rekrutierten sich ihre Liebhaber aus den Chefetagen der ortsansässigen Geschäftswelt. Der Oberkellner einer Frankfurter Bahnhofskneipe war ihr nicht mehr gut genug.
    Als Hugo meine Mutter fragte, ob sie sich scheiden lassen und ihn heiraten wollte, lachte sie ihn nur aus. Danach war Schluss mit seinen Besuchen.
    Seit zwanzig Jahren hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Der Gute musste verdammt einsam gestorben sein; ansonsten konnte ich mir keinen Grund vorstellen, warum ausgerechnet ich sein Erbe sein sollte.
    »Eine Frage. Was habe ich geerbt ?«
    Meuers Redefluss stoppte abrupt. »Oh, sagte ich das nicht? Sie dürfen sich als stolzer Eigentümer eines Bauernhofes in Buldern betrachten. Die Sache hat nur einen kleinen Haken .«
    »Wo liegt Buldern und wo der kleine Haken ?«
    »Buldern ist ein reizendes Dorf im Münsterland. Idyllisch gelegen. Sie erben den Hof jedoch nur, wenn Sie ihn bewohnen und das Vieh versorgen. Nicht viel: ein Schwein und acht Kaninchen.«
    Das war ja eine tolle Erbschaft. In der Ödnis sitzen und Ställe ausmisten. Und das mir, einem Stadtmenschen durch und durch.
    »Sie haben drei Monate Zeit, sich zu entscheiden«, unterbrach der Notar meine Gedankengänge.
    »Okay, ich werde mich melden. Vielen Dank.«
    Auf dem Heimweg stellte ich mir mich als Landwirt vor, mit dem Erfolg, dass ich einen Lachkrampf erlitt. Das musste ich unbedingt gleich Bettina erzählen.
    Wie üblich lief ich gegen zwölf in der Firma auf. Als Prokurist der August Klimke KG hatte ich einen Bombenjob. Wir stellten Präzisionswerkzeuge für die Autoindustrie her. Als Augusts Schwiegersohn in spe stand ich zudem als designierter Nachfolger fest und konnte tun und lassen, was ich wollte.
    Nachdem ich wie jeden Morgen meine privaten Mails gelesen hatte, trank ich einen Kaffee bei Sandy, der Chefsekretärin des Hauses. Blonde Dauerwelle, Charakter an den richtigen Körperstellen und wandelnder Verkaufsständer für Modeschmuck. August konnte mit Sandys Leistung und Einsatzbereitschaft mehr als zufrieden sein, und Tippen und Kaffeekochen konnte sie auch. Allerdings hatte der Alte kein Exklusivrecht, wie mir schnell
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher