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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand
Autoren: Martin Suter
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sehnte er das Ende des dritten Aktes herbei.
    Die Häusermanns unterhielten sich halblaut mit ihren aufgeregten Kindern. Die Lanvins und die Lüttgers solidarisierten sich trotz der Sprachbarriere miteinander. Und Frau Professor Kummer schaute Fräulein Seifert vorwurfsvoll an, als trüge sie die alleinige Schuld an der Katastrophe.
    Sonia teilte sich eine Decke mit Bob. Er hatte den Arm um sie gelegt, und sie ließ ihn gewähren.
    Maman war die einzige, die zum Ausgehen gekleidet war. Regenmantel, Regenschirm, Hermestasche. Sie näherte sich Sonia: »Kann ich dich einen Moment allein sprechen?« Sie sah gereizt aus. Dieser Brand kam ihr ungelegen.
    »Du bekommst die Unterschrift.«
    Maman nahm die Nachricht mit einem raschen Lächeln zur Kenntnis. »Schön. Aber da ist noch etwas anderes. Etwas Persönliches.« Sie sah Bob erwartungsvoll an, bis dieser die Decke um Sonias Schultern legte und sich ein Stück entfernte.
    »Ich muß sofort abreisen. Ich habe einen Anruf bekommen. Frédé hat gestern ohne Erlaubnis die Klinik verlassen. Es war mir wichtig, daß du es erfährst.« Sie öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr das Gesuch. Auch einen Füller hatte sie dabei. Und sogar ihren Rücken bot sie Sonia als Unterlage dar.
    Sonia blickte ihr nach, wie sie auf ihren hohen Absätzen entschlossen Richtung Dorf marschierte. Zum ersten Mal im Leben tat sie ihr ein wenig leid.
    Es waren keine Flammen mehr zu sehen, nur noch Rauch stieg aus dem Turmstummel und vermischte sich mit den Wolken dieses verregneten Junis.
    Barbara Peters machte die Runde unter ihren Gästen, wie die Gastgeberin einer Cocktailparty. Nur daß sie statt Höflichkeiten Details über die Evakuierungspläne austauschte.
    »Eine Stunde später, und es hätte uns beim Tee erwischt«, sagte Sonia, als Barbara zu ihr kam.
    Barbara sah sie verständnislos an.
    »Du hattest mich doch auf vier Uhr zum Tee eingeladen.«
    »Um vier? Zum Tee? Um vier war ich in Storta verabredet.«
    Eine Stunde später war der Brand – wohl auch mit Hilfe des Dauerregens – gelöscht. Polizei und Berufsfeuerwehr, die inzwischen eingetroffen waren, gaben die Hotelhalle für die frierenden Gäste und Angestellten frei. Nach einer gründlichen Inspektion der Brandstelle würde entschieden werden, ob die Gäste ihre Zimmer räumen dürften.
    Die Küche improvisierte einen Imbiß, und bald kam unter Gästen und Personal eine gedämpfte Partystimmung auf. Sie erzählten sich, in welcher Situation sie den Feueralarm erlebt und wie sie darauf reagiert hatten.
    Etwas abseits der Aufregung stand Frau Felix wie das Mauerblümchen einer Tanzveranstaltung. Als Sonia sich vor sie hinstellte, nahm sie wieder die Brille ab.
    »Er sagte, er sei ein gemeinsamer Freund von Ihnen und Frau Peters. Er war sehr nett. Er wolle Sie überraschen«, stammelte sie.
    Sonia ging es so gut, daß sie ein wenig lächeln und antworten konnte: »Das ist ihm gelungen.«
    Die Evakuierung fand in dieser Nacht nicht statt. Der Bergbach aus der Val Tasna hatte zwischen Ardez und Scuol Straße und Bahnstrecke zerstört und die Bewohner der umliegenden Dörfer vertrieben. Die Zufahrt zum Vereina-Tunnel war durch Erdrutsche unterbrochen, und alle Pässe waren unbefahrbar. Das Unterengadin war von der Umwelt abgeschnitten, und die Notunterkünfte des ganzen Tales waren überbelegt.
    Polizei und Feuerwehr sicherten den ausgebrannten Gebäudeteil, gaben den Rest des Hotels frei und wandten sich dringlicheren Aufgaben zu. Gäste und Personal bezogen wieder ihre Zimmer. Einzig das von Frau Professor Kummer war durch Löschwasser unbrauchbar geworden.
    Eine Zählung der Hotelbewohner hatte ergeben, daß niemand fehlte. Deswegen hatte die Polizei dem Drängen der Hotelbesitzerin nachgegeben und die Mitteilung, daß an der Brandstelle eine unidentifizierte männliche Leiche gefunden worden war, auf den nächsten Tag verschoben.
    Sonia erwachte mit leichtem Herzen. Das Zimmer war freundlicher als an anderen Morgen. Heller, luftiger.
    Vorsichtig, damit er nicht erwachte, kletterte sie über Bob und ging ans Fenster. Sie hob den Vorhang und schaute in die Helligkeit hinaus.
    Noch immer fiel Regen aus einem grau verhangenen Himmel. Aber die Birke vor ihrem Fenster verdunkelte das Zimmer nicht mehr.
    Sie hatte über Nacht die Blätter verloren.
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