Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzflattern im Duett

Herzflattern im Duett

Titel: Herzflattern im Duett
Autoren: Franziska Gehm
Vom Netzwerk:
Verheißungsvolle
SMS
    A m nördlichen Rand der Großstadt, im letzten Haus im Lindenweg, in der ersten Etage im Badezimmer stand Silvania Tepes vor dem Spiegel. Ihre Nasenspitze berührte fast die Spiegelfläche. Silvania musterte sich kritisch. Das war nicht einfach. Sie war ein Halbvampir. Ihr Spiegelbild war undeutlich. Ein feiner Nebelschleier lag darüber. Silvania zog die Augenbrauen hoch. Dann blinzelte sie mit den langen braunen Wimpern. Sie spitzte die Lippen. »Hello, Jacob. Pleased to meet you, too.« Sie lächelte. Plötzlich hielt sie inne. Sie starrte auf ihre Eckzähne. Sie runzelte die Stirn. »Schlotz zoppo!«, flüsterte sie. »Ich habe die Dentiküre vergessen!« Blind griff sie nach der Zahnfeile auf dem Beistelltischchen. Sie setzte die Feile gekonnt am rechten Eckzahn an, wie ein Geiger den Bogen.
    Im Bad erklangen gänsehauterzeugende Geräusche. Ritsche, ratsche, knirsch, knack, quietsch, quötsch, ding, doing. Nachdem Silvania den rechten Eckzahn gekürzt hatte, setzte sie die Feile an den linken Eckzahn. Ritsche, ratsche, knirsch, knack, quietsch, quötsch, ding, doing. Sie legte die Feile beiseite. Sie fuhr sich mit der Zunge über die gekürzten Eckzähne. Das fühlte sich gut an! Hoffentlich sah es auch gut aus. Es war nie schlecht, gut auszusehen. Aber heute war es besonders wichtig.
    Plötzlich klopfte es kräftig an der Badtür. »Ich muss mal!«
    Das war Dakaria Tepes. Sie war Silvanias Schwester. Silvanias jüngere Schwester. Denn sie kam genau sieben Minuten später auf die Welt. Dakaria wurde sie allerdings nur von Lehrern und anderen Leuten genannt, die es nicht besser wussten. Für den Rest war sie Daka.
    Silvania öffnete die Badtür. »Flops dich doch einfach in den Wald. Denk an Onkel Vlads Worte: Stuhlgang in der Natur ist Hochgenuss pur.«
    Onkel Vlad, der in Transsilvanien lebte, war wie alle Vollblutvampire ein Verfechter der Freiluftentleerung. Die wenigsten Vampire hatten Toiletten im Haus. Ihrer Meinung nach war es unrein, am Ort des Lebens, Kochens, Essens, Schlafens und Spielens Körperausscheidungen zu hinterlassen. Daka leuchtete das ein. Manchmal. Zumindest in Transsilvanien. Jetzt sah die Lage anders aus.
    Daka hatte die Lippen aufeinandergepresst. Sie stand leicht gebückt, kniff die Oberschenkel zusammen und schüttelte den Kopf.
    »Es ist dringend, stimmt's?« Silvania trat schnell aus dem Badezimmer.
    Daka nickte. »Außerdem ist Flopsen verboten.«
    Flopsen war eine Fortbewegungsweise der Vampire. Und Halbvampire. Sie konnten sich in Sekundenbruchteilen von einem Ort zum anderen bewegen. Flops, waren sie da! Aber es funktionierte nur über kleine Entfernungen und war sehr kräftezehrend.
    Silvania nickte wissend, während ihre Schwester die Badtür schloss. Die sieben radikalen Regeln.
    Elvira Tepes, die Mutter der Zwillinge, hatte vor dem Umzug von Transsilvanien nach Deutschland sieben radikale Regeln aufgestellt, wie sich die Halbvampire in ihrer neuen Heimat zu verhalten hatten:
Kein Fliegen bei Tageslicht
Keine lebenden Mahlzeiten (auch keine Snacks wie Fliegen, Käfer oder Würmer)
Ausreichend Sonnenschutz (Sonnencreme, Hut, Sonnenbrille etc.)
Haustiere wie Blutegel, Mücken, Zecken und Flöhe bleiben zu Hause
Spiegel, Spiegelreflexkameras und Knoblauch sind zu meiden
Kein Einsatz übernatürlicher Kräfte (wie Hypnotisieren, Belauschen oder Flopsen)
Wöchentliche Dentiküre
    Silvania fiel das Einhalten der Regeln nicht schwer. Meistens. Denn meistens wollte sie sowieso lieber ein Mensch sein. Daka dagegen hatte ihre Probleme mit den radikalen Regeln und dem Leben in Deutschland. Meistens. Denn meistens wollte sie lieber ein echter Vampir sein.
    Silvania ging in das Zimmer, das sie sich mit ihrer Schwester teilte. Sie legte sich auf ihr Bett. Fünf Sekunden starrte sie an die Decke. Dann holte sie ihr Handy hervor und hielt es sich vors Gesicht. Jacob hatte ihr schon drei SMS geschrieben. Jacob war Silvanias Englisch-Nachhilfelehrer. Er wusste alles über Present Perfect, unregelmäßige Verben und if-Sätze. Was er nicht wusste, war, dass Silvania gar keine Nachhilfe brauchte. Zumindest nicht in Englisch. Höchstens im Fliegen. Aber Fliegen war in Deutschland kein Unterrichtsfach. Zum Glück, fand Silvania.
    Silvania las sich die SMS zum 54. Mal durch. Die erste SMS lautete: ›O. K. Wann?‹ Die zweite lautete: ›Ja‹ und die dritte: ›Bis dann.‹ Diese SMS fand Silvania am schönsten. Sie war so verheißungsvoll. Silvania seufzte und stellte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher