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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand
Autoren: Martin Suter
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und nahm ihre Brille ab. Die Geste hatte etwas so Entwaffnendes, daß Sonia sie hereinließ.
    »Sie sollen sich ausruhen, läßt sie Ihnen sagen. Ich werde Ihren Dienst übernehmen.« Und sie fügte hinzu: »Gerne.«
    Sie blieb unschlüssig stehen und blickte zu Sonia auf. Ohne die Verzerrung durch die Brillengläser sahen ihre Augen aus wie die Augen einer nicht einmal so unfreundlichen älteren Frau.
    »Acht Brüche«, sagte sie. »Das Spital hat angerufen. Aber keine inneren Verletzungen.«
    Sonia nahm das ärztliche Bulletin mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. Frau Felix blieb noch immer stehen.
    »Ich wollte mich entschuldigen. Ich habe Ihnen unrecht getan.« Sie hielt ihr die Hand hin, und Sonia drückte sie.
    »Ich Ihnen wohl auch«, gab sie zur Antwort. Sie öffnete ihr die Tür.
    Frau Felix zögerte noch immer: »Und falls es Ihnen am Nachmittag bessergeht, würde sie Sie gerne zum Tee einladen. In ihrer Wohnung. Sechzehn Uhr.«
    Sonia legte sich wieder ins Bett und versuchte, ihren Gefühlskokon nicht zu beschädigen. Ihr Wecker zeigte acht, als ein Klopfen sie weckte. »Room Service«, sagte eine Männerstimme.
    Es war Bob. Er trug ein Tablett mit dem Frühstück und machte ein schuldbewußtes Gesicht. »Tut mir leid, was dir passiert ist«, sagte er.
    »Es gibt Schlimmeres«, antwortete sie, nahm ihm das Tablett ab und schloß die Tür vor seiner Nase. Freundlich, aber bestimmt. Erst als sie sich Kaffee einschenkte, fiel ihr auf, daß es ein Frühstück für zwei war. Sie legte sich damit ins Bett und schaltete den Fernseher ein. In einigen Gegenden im Mittelland hatten sie Hochwasseralarm gegeben. Die Meteorologen rechneten mit weiteren Niederschlägen.
    Als sie erwachte, hockte etwas auf ihrem Bauch.
    Sie stieß einen Schrei aus und fuhr hoch. Es fiel klirrend und scheppernd zu Boden.
    Mit klopfendem Herzen räumte sie die Trümmer des Frühstücks zusammen. Es war passiert: Sie hatte die brüske Bewegung gemacht, und der Kokon war zerbrochen. Alles, was sie darin für später weggesteckt hatte, war plötzlich da in seiner ganzen Realität. Sie holte ihre Koffer und ihr Rollwägelchen vom Schrank herunter und fing an zu packen.
    Von den Wolken hingen dunkle Regenschleier bis zur Erde. Die Wasserflecken auf den Fassaden brachten die Sgraffiti zum Verblassen. Das Gemüse ersoff in den Gärten, und die Flümella, der Dorfbach, der in normalen Sommern kaum Wasser führte, trat unterhalb des Dorfes über die Ufer, weil Treibholz ihren Lauf verstopfte.
    Die paar wenigen Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, die tagsüber im Dorf oder auf ihren Höfen arbeiteten, kümmerten sich darum. Ein paar andere schützten die zwei, drei Fenster der notorisch überschwemmten Keller entlang der Dorfstraße mit Sandsäcken.
    Anna Bruhin stand in der Ladentür und wartete, daß etwas passierte. Irgend etwas, was dieser Monotonie ein Ende machte.
    Das Hotelgespann klapperte heran. Curdin winkte ihr mürrisch zu, sie winkte zurück. Unter dem Verdeck saß der Weißhaarige, der aussah wie ein Inder. Bestimmt wollte er aufs Halb-drei-Uhr-Postauto. Er hatte bei ihr einmal den Spiegel kaufen wollen, und sie Kuh hatte keinen gehabt. Für nächste Woche hatte sie einen bestellt, jetzt, wo er abreiste. Mal sehen, ob auch diesmal wieder ein neuer Gast ankam.
sonia ich muß mit dir reden
ich nicht
es ist wichtig ehrlich
ehrlich ha ha
    Kurz darauf klingelte Sonias Handy. »Malu« stand auf dem Display. Sonia schaltete das Gerät aus.
    Sie hatte die Koffer gepackt, bis auf die nassen, schmutzigen Wanderschuhe. Zuerst wollte sie sie hier lassen. Aber jetzt nahm sie sie in einer Tragetasche mit. Für Namibia.
    Es war erst halb drei. Noch anderthalb Stunden bis zum Tee bei Barbara. Als ob sie die geringste Lust hätte, mit diesem Luder Tee zu trinken. Alles, was sie wollte, war, sie davon in Kenntnis zu setzen, daß sie per jetzt, sofort, augenblicklich kündigte und mit dem nächsten Postauto abreiste. Dazu brauchte sie keinen Tee und Kuchen. Dazu reichten drei Minuten.
    Sie schaltete den Fernseher ein. Noch immer Dauerregen überall. Auf der Nord-Süd-Achse wurden erste Verkehrsunterbrechungen gemeldet. Durch Erdrutsche beschädigte Bahnstrecken, überschwemmte Straßenabschnitte.
    Sie zappte sich durch die Talk-Shows und Billig-Soaps des Nachmittags und schaltete das Gerät wieder aus.
    Was, wenn auch hier die Verkehrswege unterbrochen würden? Brücken weggeschwemmt, Straßen verschüttet, Pässe eingeschneit.
    Die Vorstellung, von
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