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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand
Autoren: Martin Suter
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der Umwelt abgeschnitten und gezwungen zu sein, noch länger in diesem Zimmer, diesem Dorf, dieser Gesellschaft und diesem Zustand zu verbringen, war ihr unerträglich.
    Sie konnte nicht warten bis vier. Sie mußte hier weg. Jetzt.
    Noch ehe sie klingeln konnte, ging die Tür auf, und eines der albanischen Zimmermädchen kam heraus. »Ist Frau Peters oben?« fragte Sonia.
    Das Mädchen nickte. »Ja, Frau Peters.«
    Sonia stieg die Treppe hinauf. Die Türen zu Bad, Küche und Schlafzimmer im ersten Flur waren geschlossen. Nur die zur zweiten Wendeltreppe stand halb offen.
    Im runden Turmzimmer war niemand zu sehen. Auch Bango begrüßte sie nicht. »Hallo? Barbara?« rief sie.
    Keine Antwort.
    Bestimmt hatte die Albanerin ihre Frage falsch verstanden. Vielleicht, ob Frau Peters hier wohne.
    Sie machte kehrt und wollte die Treppe wieder hinuntergehen, da hörte sie das Türschloß und gleich darauf Schritte auf der unteren Treppe. »Barbara, ich bin schon hier oben«, wollte sie rufen.
    Aber etwas ließ sie zögern.
    Die leisen Schritte auf der Treppe waren von einem sonderbaren Kobaltgrün. Beim Näherkommen nahmen sie eine verschwommene Kontur an. Ein Schimmer. Ein farbiger Nebel. Ein Dunstkreis.
    Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie suchte verzweifelt nach einem Versteck, entdeckte die Tür zur Zinne, öffnete sie leise und ging hinaus.
    Die begehbare Fläche war vielleicht fünfzig Zentimeter breit und mit glasierten Bodenplatten belegt, die vom Dauerregen glitschig waren. Die Brüstung war höchstens einen Meter hoch und mit Scharten versehen. Die ganze Konstruktion war überhängend, das hatte Sonia von unten mit Schaudern gesehen. Aber das, wovor sie flüchtete, machte ihr noch mehr angst.
    Sie tastete sich gebückt zu dem Fenster, das am weitesten von der Tür entfernt war, und spähte ins Zimmer.
    Er hatte abgenommen. Sein Gesicht, das selbst bei ihrer letzten, katastrophalen Begegnung noch die weichen Züge vieler Geschäftsessen gehabt hatte, war jetzt hager. Die Augen lagen tiefer in ihren Höhlen, und über dem Dreitagebart zeichneten sich die Backenknochen ab.
    Was ihn am meisten veränderte, war die Gesichtsfarbe: Er war bleich. Er, der selbst zur Scheidungsverhandlung gebräunt erschienen war. Er, der, wo immer sie gewohnt hatten, eine Sonnenbank besaß und im Zweifelsfall bei der Hotelwahl lieber auf einen Stern verzichtete als auf ein Solarium.
    Er trug einen blauen Trainingsanzug in einer Übergröße mit drei weißen Streifen. Und er hatte einen Handwerkerkoffer dabei, an dem er schwer zu tragen schien.
    Er sah sich um und kam direkt auf ihr Fenster zu. Als hätte er sie gesehen.
    Sie duckte sich. Von der Rinne des Kupferdachs hatte sich ein Stück gelöst, und das Regenwasser fiel stoßweise mal laut auf die Zinne, mal still über die Brüstung.
    Als sie wieder wagte, ins Zimmer zu spähen, war er mit seinem Koffer beschäftigt.
    Fünf kleine Kunststoffkanister mit einer durchsichtigen Flüssigkeit standen auf dem Teppich. Er trug Einweghandschuhe, hatte einen Schraubenzieher in der Hand und war dabei, ein an einem der Kanisterchen befestigtes elektronisches Bauteil mit einem dünnen Kabel zu verbinden. Er hatte dabei die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt und trug den eifrigen Ausdruck, den sie von ihm kannte, wenn er an seiner High-End-Musikanlage bastelte oder seine Ausrüstung packte für einen weiteren Spezialkurs als Major der Artillerie in dieser lächerlichen Uniform, auf die er so stolz war.
    Das Kanisterchen war jetzt verbunden. Er brachte es zu einem der Fenster und versteckte es hinter dem Seidenvorhang. Dann rollte er das Kabel ab und führte es unter Teppichfransen und Möbeln verborgen zur Tasche zurück.
    Wie gelähmt beobachtete Sonia, wie Frédéric seinen Anschlag vorbereitete. Er tat es mit der gleichen Pingeligkeit, mit der er ein Picknick zusammenstellte, das Feriengepäck im Kofferraum verstaute oder Mamans traditionellen Christbaum schmückte.
    Und der sie nichts entgegenzusetzen gehabt hatte als eine wachsende Schlampigkeit, die eigentlich nicht ihrem Naturell entsprach.
    Er versteckte alle fünf Kanister im Raum und machte sich an einem mit schwarzem Klebeband umwickelten Paket zu schaffen. Auch daran befanden sich elektronisch aussehende Teile. Er verband sie mit den Kabelenden, die aus allen Richtungen bei ihm zusammenliefen.
    Er nahm einen kleinen gelben Gegenstand aus dem Koffer und befestigte ihn mit einem Gummiband am Paket.
    Es war ein Handy. Zwei kleine
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