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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand
Autoren: Martin Suter
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das Kreuz umgedreht.«
    »Und Pavarotti?« erkundigte sie sich, mehr der Vollständigkeit halber.
    Sie spürte, daß er nickte. Was er danach sagte, bekam sie nicht mit. Aber sie sah seine Stimme. Sie war etwas Brockiges, ölig Irisierendes, träge sich Voranwälzendes, auf dessen Oberfläche das Geräusch des Regens eine gehämmerte Struktur hinterließ.
    Als das Bild der Stimme verschwand und nur noch das des Regens blieb, fragte sie: »Und wie wäre es weitergegangen, was wäre ihr zugestoßen?«
    »Wem?«
    »Barbara Peters. Deiner Ursina.«
    Schweigen. Und dann im rücksichtsvollen Ton des Überbringers einer schlechten Nachricht: »Es ging nicht um sie. Es ging immer um dich, Sonia. Du bist Ursina.«
    Sonia verstand nicht. »Ich bin Ursina?«
    »Aber zugestoßen wäre dir nichts. Es ist vorbei. Auftrag erfüllt.«
    Ein Windstoß fuhr in die nassen Wipfel und verdoppelte die Kadenz des Regens.
    »Auftrag?«
    Manuel stöhnte. Vor Schmerzen und über ihre Begriffsstutzigkeit. »Frédéric«, sagte er nur.
    Ein metallischer Geschmack entstand in ihrem Mund. »Woher kennst du Frédéric?«
    »Von der Waldweide. Ich habe dort als Physiotherapeut gearbeitet.«
    Seine Stimme kam von ganz weit weg und ihre von noch weiter. Sie hörte sich fragen: »Warum?«
    »Er wollte dich zur Sau machen, wie er es nannte. Wie du ihn.«
    »Und warum hast du mitgemacht?«
    Sie hörte ihn vor Schmerzen die Luft einsaugen. »Er tat mir leid.«
    »Leid? Frédéric?«
    »Hast du schon einmal in der Psychiatrie gearbeitet? Mit der Zeit kannst du die Patienten und das Personal nur noch anhand der Kleidung unterscheiden. Ärzte mit verfilzten Haaren, die Selbstgespräche führen, Pfleger, die ständig vor sich hin sprechen, Nachtschwestern, die Angst im Dunkeln haben, Psychiater, die die Patienten beklauen. Da ist es eine Wohltat, einmal einen normalen Menschen kennenzulernen.«
    »Der gerade versucht hat, seine geschiedene Frau umzubringen.«
    Wieder wartete Manuel das Verebben einer Schmerzwelle ab. »Er hat mir seine Version erzählt. Ich habe ihn verstanden. Damals.«
    »Seine Version!«
    »Du hast ihn seit eurer Heirat systematisch fertiggemacht. Du wolltest keine Kinder. Du mochtest seine Freunde nicht. Du hast seine Karriere untergraben. Du hast ihn bloßgestellt vor seiner Familie. Vor seinen Kollegen. Vor der ganzen Welt. Er wollte dich nicht umbringen. Nur zur Vernunft bringen. Aber du hast ihn provoziert.« Nachdem er sich von einem qualvollen Hustenanfall erholt hatte, fuhr er fort: »Und jetzt wolltest du ihm den Rest geben – Irrenhaus oder Knast.«
    »Und dann«, hörte sie ihre fremde Stimme sagen, »hast du beschlossen, ihm zu helfen.«
    »Er hat mich überredet. Und die Aussicht, daß ich so aus der Waldweide rauskomme, hat auch geholfen.«
    Eine Böe zerrte an der Pelerine, und Sonia kämpfte einen Moment, bis sie sie wieder unter Kontrolle hatte. »Von wann an mochtest du mich?«
    »Schon nach ein paar Tagen.«
    »Und trotzdem hast du weitergemacht.«
    Eine Weile waren nur der Regen und Manuels vorsichtige Atemzüge zu hören. »Zweihundertachtzigtausend. Soviel Geld hätte ich mein Lebtag nie auf die Seite gebracht. Zahlbar in sieben Raten. Nach jedem Job lagen vierzigtausend mehr auf dem Konto.«
    Ja, das war Frédéric. »Die Argumente vertiefen«, hatte er es immer genannt, wenn er mit Geld nachhelfen mußte.
    »Leicht verdient«, fuhr Manuel fort. »Das Schwierigste war, dafür zu sorgen, daß du Frédérics Sagenbuch findest.«
    Das Licht eines Blitzes drang durch die Kopföffnung der Pelerine und erhellte für eine Sekunde das Innere ihres improvisierten Beichtstuhls. Der Donner folgte fast sofort.
    »Und wie hast du die Stelle bekommen?«
    »Ich hab mich ganz normal beworben. Kurz nach dir.«
    Wieder ein Blitz, etwas schwächer diesmal, sein Donner etwas ferner.
    »Und woher wußte er es? Ich habe es niemandem erzählt.«
    Manuel stöhnte auf. »Hoffentlich kommen die bald.«
    Nein, das stimmte nicht. Jemandem hatte sie es erzählt. Sie stellte die Frage, deren Antwort sie nicht wissen wollte. »Hatte er Kontakt mit Malu?«
    »Sie hat ihn oft besucht.«
    Sonia konnte Manuels Nähe plötzlich nicht mehr ertragen. Sie richtete sich auf und breitete die Pelerine über ihn aus wie über eine Polizeileiche.
    Ein paar Schritte entfernt wartete sie im strömenden Regen schlotternd und heulend, bis über ihr der Rotor des Rettungshelikopters ratterte.
    Als sie ihn vorbeitrugen, ging sie ein Stück neben der Tragbahre her.
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