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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand
Autoren: Martin Suter
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Lächeln zustande.
    »Würden Sie uns vielleicht bitte durchlassen?« bat Manuel mit einem gefährlich freundlichen Unterton.
    Bezzola quetschte die Glut aus seiner Zigarette und trat sie aus. Den Stummel warf er die Böschung hinunter. Dann verschränkte er die Arme.
    »Hallo? Ich rede mit Ihnen«, sagte Manuel laut und deutlich, wie zu einem Schwerhörigen.
    Der Koch sprach weiter mit Sonia, als wäre Manuel Luft. »Und das verkleidete Hündchen durfte nicht mitkommen, das arme? Das würde bestimmt auch gern mit dem Teufelchen spazierengehen. Mit seinem lustigen Jägerhütchen.«
    »Lassen Sie uns sofort durch!« fuhr ihn Manuel an.
    »Ach, Sie wissen das nicht?« Bezzola richtete sich noch immer direkt an Sonia. »Das Teufelchen wurde beobachtet, wie es das verkleidete Hündchen in seinem Kofferraum verstaut hat.« Er schaute Sonia mit dem aufmunternden Blick eines Lehrers an, der weiß, daß seine Schülerin die richtige Antwort auf der Zunge hat.
    Sonia hatte ein Bild gespeichert, ohne zu merken, was daran nicht stimmte: Bango, der Manuel mit gefletschten Zähnen anknurrte, als dieser ihn anfassen wollte. Plötzlich fror sie.
    Manuel schob die linke Schulter vor und drängte sich an Bezzola vorbei.
    Vielleicht rutschte er aus, vielleicht half Bezzola ein wenig nach. Jedenfalls fiel Manuel ein Stück weit die Böschung hinunter, konnte sich im Heidelbeerteppich festkrallen, hing einen Moment auf einer kleinen Felskuppe, bis die Staudenwurzeln mit hörbarem Reißen nachgaben. Er stürzte mit einem lauten »Shit!« die Böschung hinunter.
    Peder rannte los, Sonia folgte ihm.
    Manuel lag auf dem Weg und stöhnte, als sie ihn erreichten. Er blutete aus einer großen Schürfwunde auf der rechten Gesichtshälfte. Er lag auf dem Rücken, seinen seltsam verdrehten linken Oberarm hinter den Kopf gelegt und die Beine übereinandergeschlagen, als entspanne er sich auf einer Sonnenliege. Seine Oberschenkel lagen nebeneinander, aber sein linker Unterschenkel ruhte über dem rechten. Unter dem Knie befand sich eine Abwinkelung, wie ein neues Gelenk, das rasch anschwoll und sich rotblau verfärbte.
    GABI , hatte Sonia während ihrer Ausbildung gelernt. Gibt er Antwort? Atmet er? Blutet er? Ist Puls spürbar? »Manuel?«
    »Scheiße«, stöhnte er.
    »Kannst du die Hände bewegen?« Sie sah, wie seine Finger etwas Unsichtbares umfaßten. »Die Zehen?«
    »Ich glaube schon«, wisperte er.
    »Kein Kribbeln? Spürst du alles?«
    »Mehr als alles.«
    Hinter sich hörte sie Bezzola auf romanisch telefonieren.
    »Was tut am meisten weh?«
    »Die linke Schulter.«
    »Willst du versuchen, anders zu liegen?«
    »Nein.«
    Sie griff nach seinem rechten Handgelenk, um den Puls zu messen, und spürte ein Knacken. Er schrie auf. Vorsichtig legte sie die Hand wieder auf den Boden.
    Bezzola hatte sein Gespräch beendet. »Am Waldrand unten gibt es eine Stelle, wo man landen kann. Ich gehe runter und warte auf den Helikopter. Haben Sie ein Handy? Für alle Fälle.« Er gab ihr seine Nummer und ging.
    Auf der Felsböschung, über die Manuel gestürzt war, wuchsen keine Bäume. Ungehindert fiel der Regen auf sie herunter.
    »In der Außentasche meines Rucksacks ist eine Pelerine. Vielleicht kannst du sie herausnehmen, ohne mich zu bewegen.«
    Sonia brauchte Minuten, bis sie die orangene Regenhaut unter Manuel herausgeklaubt hatte. Sie kauerte sich neben ihn und breitete sie über sie beide aus. Eine Weile saßen sie im rötlichen Licht ihres kleinen Zeltes und hörten dem Regen zu, der auf den Kunststoff trommelte.
    Manuel schloß die Augen. »Was er sagt, stimmt. Ich bin der Teufel von Mailand.«
    Sonia hatte versucht, das Thema aus ihrem Bewußtsein zu drängen. Auch jetzt tat sie, als ob sie ihn nicht gehört hätte.
    »Ich war’s. Es tut mir leid, aber es stimmt. Ich war’s.«
    Noch immer schwieg Sonia.
    »Ich wollte es dir sagen. Heute. Deswegen wollte ich mitkommen.«
    »Und weshalb hast du es nicht getan?«
    »Der Regen. Es begann zu regnen, und du wolltest zurück. Ich hätte es dir gesagt. Ehrenwort.« Der Schmerz und die Anstrengung des Geständnisses zerfurchten sein rundes, glattes Gesicht.
    Sonia spürte, wie sie eine große Gleichgültigkeit befiel. Es war, als wäre sie weit weg von diesem Menschen, mit dem sie unter zwei Quadratmeter Pelerine kauerte.
    »Ich habe die Säure in den Ficus geschüttet, Casutt zum Tagesdienst aufgeboten, die Leuchtstäbe im Pool versenkt, das Schlagwerk der Kirchenglocke verstellt, Bango verkleidet,
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