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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase
Autoren: Mikko Rimminen
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Wohnungstür, bevor ich klingeln konnte. Dann schenkte er ein bräunliches Lächeln aus und sagte, er habe schon Sehnsucht gehabt. Noch bevor ich mich wundern konnte, sagte ich, mir gehe es genauso, und trat ein. In dem durchs Fenster quellenden, vom Schnee vervielfachten Winterlicht sah seine Wohnung noch schlimmer aus als früher, aber ich ließ mich davon nicht beirren, sondern wies dem Hausherrn einen Stuhl und nahm selbst auf der anderen Seite des Tisches Platz. Er befolgte den Befehl mit unsicheren Bewegungen, als wollte er um einen Kredit betteln oder als hätte er Angst, das Sitzmöbel kaputtzumachen. Aus der alten Handtasche, die ich inzwischen wieder in Gebrauch genommen hatte, nahm ich den zylinderförmigen Geschenkkarton von Alko und überreichte ihn Virtanen, der ihn etwas ängstlich auffummelte und die braune Flasche mit der Gin-Tonic-Mischung herauszog.
    Er stellte sie auf den Tisch und starrte sie eine Weile geradezu schockiert an, schmolz dann aber dahin und lächelte mild: »Darf man das Geschenk gleich aufmachen?«, fragte er und kicherte und linste unter den Tisch.
    Ich sagte, natürlich dürfe man das, und verfolgte, wie er den Kronkorken mit dem Feuerzeug, das er irgendwo hervorgezauberthatte, zischend aufstemmte und den Flascheninhalt mit wenigen Schlucken in die Kehle gluckern ließ. Jetzt war ich an der Reihe, große Augen zu machen. Als er meinen Blick bemerkte, wirkte er noch erschrockener und gleich darauf schuldbewusst, fing sich aber schnell und sagte: »Das ist nicht ganz so stark, wie du anscheinend glaubst.«
    »Aha«, sagte ich, weil mir auf die Schnelle nichts anderes einfiel.
    »Danke«, sagte er. »Das war lieb.«
    Dann sah er eine Zeitlang so aus, als hege er die Absicht, einen geräuschvollen und zufriedenen Rülpser auszustoßen, merkte aber noch rechtzeitig, dass er nicht allein war, und drückte nur gedämpft etwas in die Armbeuge ab, streckte sich nach dem Kühlschrank und angelte sich einen neuen Drink heraus. Nachdem er die Flasche geöffnet hatte, fragte er, ob mich bloß die freundliche Geste hierhergeführt habe, und ich erwiderte, nein, sondern die Lage sei die, dass ich alles erzählen müsse. Und obwohl in meinem Kopf natürlich alles parat lag, kam Virtanen nicht darauf, was ich meinte, Was alles, Na alles, Wie, Na das wo du mir geholfen hast, Ach so, Hattest du das schon vergessen, Ein bisschen, Macht nichts, Wie ist es denn weitergegangen, Das erzähle ich dir jetzt.
    Und ich erzählte es ihm. Ich musste es jemandem erzählen, und Virtanen war nun einmal von allen Menschen auf der Welt zufällig derjenige, demgegenüber ich mich in der Angelegenheit schon einmal geöffnet hatte. Er hörte folgsam zu, nahm ab und zu einen Schluck aus der Flasche und schüttelte durchaus an den richtigen Stellen ungläubig den Kopf. Die allmählich untergehende, direkt durchs Fenster scheinende Sonne schien ihn etwas zu stören, zwischendurch sah es so aus,als würde ihm das Gehirn angesengt werden. Als ich fertig war, starrte er lange mucksmäuschenstill aus dem Fenster und brach dann in unbändiges Gelächter aus, hielt sich den Kugelbauch und vergoss Tränen.
    »Zu langsam!«, ächzte er dann, als er wieder etwas Luft bekam.
    Ich sagte, so sei es tatsächlich gewesen, jemand habe von der Autobahn aus mit dem Handy die Polizei gerufen, weil er dachte, die Fahrerin habe einen Anfall bekommen. Virtanen lachte noch immer darüber, und bei mir fehlte auch nicht mehr viel zum Kichern. Ich sagte, wenn man lange genug lebt, passiert einem alles Mögliche. Virtanen hielt die Flasche wie ein Kind im Arm, schmunzelte und produzierte Ungläubigkeit. Es wollte überhaupt nicht in seinen Kopf, dass die Polizisten nicht mal Ermittlungen aufgenommen, sondern mich vom Präsidium in Pasila direkt nach Hause gefahren hatten. Sie hatten wohl begriffen, vermutete ich, dass es die Schuld meines Sohnes war, die TÜV-losigkeit und was sonst noch so mit dem Auto war, ich hatte damit ja eigentlich gegen kein Gesetz verstoßen, wenn man nicht in Betracht zog, dass ich vergessen hatte, meinen Führerschein verlängern zu lassen.
    »Irgendwas werden sie doch rausgekitzelt haben«, sagte er. »Also gefragt.«
    Ich schwieg eine Weile. Die riesigen alten Ahornbäume im Innenhof von Virtanens Block reckten sich komplett weiß glasiert dem Weltall entgegen wie sonderbare Empfänger. Die Sonne tropfte hinter die Häuser und färbte den Himmel rot. Es sah aus, als wäre dort, am Himmel, im Weltall, irgendwo,
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