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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase
Autoren: Mikko Rimminen
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hörte ich noch ein einzelnes Versver, gefolgt von tuut-tuut-tuut und danach nur noch bodenlose Leere und einsames Rauschen.
    »Hallo«, flüsterte ich ins Handy, erfasste jedoch die Lage und schmiss das Ding frustriert in die Handtasche. Es war ein seltsames Gefühl, eines, das ich allerdings kannte, wenn ein Telefongespräch abbrach oder unterbrochen wurde und einem die darauffolgende Stille bei aller Überraschung so hart vorkam, dass man für einen Moment glaubte, ganz allein auf derWelt zu sein. In dem Fall kam es mir gleich mehrfach sonderbar vor, weil ich immerhin in einem fahrenden Auto saß und ständig doch irgendwie den Verkehr und das Geblinke und das ganze Geschehen um mich herum wahrnahm und in gewisser Weise spürte, dass ich durchaus an all dem ringsum beteiligt war. Dennoch hörte und begriff ich nichts so richtig, sondern hatte das Gefühl, mich in einer lautlosen, gepolsterten Blase zu befinden.
    Und als die Welt dann in meine Sinne zurückkehrte, machte sie gleich wieder einen Riesenlärm. Die Autobahn, die mir wie ein unbeherrschbar reißender Strom vorkam, schob sich ins Bewusstsein, der abrupt über sie hinwegfliegende Ring 1, aber auch die hinter und neben mir grauenerregend gleichmäßig fahrenden Polizeiautos; und weil auch noch das Dröhnen, Zittern, Donnern des Motors, der Reifen, des Windes und wer weiß was noch alles hinzukam, da schien es mir erst einmal so, als hätte ich seit einer Ewigkeit nichts mehr gesehen und gehört und müsste jetzt quasi zur Strafe sämtliche Sinneswahrnehmungen auf einmal über mich ergehen lassen.
    Die eigentümliche Panik und Schreierei meines Sohnes machte es nicht einen Deut leichter. Was hatte er mir sagen wollen? Dass das Auto Sommerreifen hatte? Unbrauchbare Scheibenwischer? Kaputtes Rücklicht, leere Pissanlage? Sonst ein Mangel, welcher?
    Beim letzten Gedanken hätte ich fast schon ein düsteres Halblachen ausgestoßen, aber weil ich von Autos nichts verstand, konnte ich darüber keine Scherze machen, ich hatte bloß Angst, dass es mitten auf der Straße zusammenbrechen und mich umbringen würde. Dann, im selben Moment, in dem ich merkte, dass ein Schneegestöber eingesetzt hatte unddas Auto bereits an der letzten Ecke des Friedhofs von Malmi vorbei in Richtung Pihlajamäki und den vom Schnee zu Torten aufgemotzten Felsen vorbeizockelte, ließ irgendeine Macht einen unschönen, grässlichen Gedanken wurmartig die Gliedmaße entlangkriechen: Es war die Erwähnung der Polizisten gewesen, die meinen Sohn zum Fluchen gebracht hatte; und da dauerte es nicht mehr lange, gerade mal eine Brückenunterquerung auf Höhe der Kläranlage, bis ich von den feuchten Zehen bis zur juckenden Stirn unter der Baskenmütze mit der gigantischen Gewissheit erfüllt war, dass er mit dubiosen Machenschaften zu tun hatte, mein Sohn, insbesondere, dass in dem Auto etwas versteckt war, schwarzer Alkohol, gestohlene Ware, Rauschgift oder Waffen oder Leichen, was auch immer, womöglich war das ganze Auto geklaut.
    Die Stadtteile Jokisuu und Koskela näherten sich bereits, draußen setzte die Abenddämmerung ein, riesige, trockene und quasi leise Flocken fielen auf die Scheibe. Es tat weh, an meinen Sohn zu denken, am liebsten hätte ich ihn gründlich in die Pfanne gehauen, aber in irgendeiner Vertiefung meines Hirns pochte trotzdem der Beschützerinstinkt, da war nichts zu machen, ich wünschte ihm ebenso wenig Schwierigkeiten wie mir; eine Mutter kann ihr Kind, solange es noch ein Kind ist, in den Laden an der Ecke schicken, um die Süßigkeit zu bezahlen, die es dort gestohlen hat, aber man schickt nicht seinen erwachsenen Sohn ins Gefängnis, nein, das geht einfach nicht. Und da gelang es mir dann, die letzten Reste von Stocksteifigkeit abzuschütteln und trotz aller Müdigkeit und einmal ohne mich um irgendetwas zu scheren der Stadt entgegenzufahren. Sie war schon zu wittern, da vorne, das Rauschen der Koskelantie, die vom Schnee dekorierten Gärten in Kumpulaund irgendwo dahinter die Kopfsteinhinterhöfe von Vallila und überhaupt ganz Helsinki; und auch wenn es unmöglich war, länger diverse Empfindungen wiederzukäuen, so wusste ich wenigstens, dass ich hier nicht bleiben wollte, so kurz davor, quasi am Stadttor, schon ganz in der Nähe und doch draußen. Ich wollte heim, nach Hakaniemi, schlafen.
    Ich hielt also noch immer nicht an, auch wenn die Botschaft der Blinklichter noch so unmissverständlich war. Ohne den Kopf zu drehen riskierte ich einen Blick zur Seite, um
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