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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase
Autoren: Mikko Rimminen
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weiß gar nicht, was es eigentlich so angenehm machte, aber angenehm war es, das Zusammensitzen mit Irja, das Plaudern, Blödeln, was auch immer. Auf einmal gab einem das Knacken der Wurzelholzuhren was, jetzt, da man jemandenzum Reden hatte; und wie ich redete, ich kam vom Hundertsten ins Tausendste und schließlich stellte ich dann auch die ominösen Fragen, weil es nötig wurde. Mein Sohn sagt ja auch immer, du kannst reden. Das sagt er eine Minute bevor er geht.
    Wenn man so hereinplatzt, muss man sich natürlich einen Vorwand ausdenken, schon weil es so schwer ist, einen Fehler zuzugeben. Und so kritzelte ich plötzlich Notizen auf die leeren hinteren Seiten in meinem Taschenkalender und nuschelte irgendwas Unbestimmtes von Meinungsumfrage, Marktforschung und so. Und als ich dann schließlich bemerkte, dass Irja, die mir noch mal Kaffee nachschenkte, plötzlich hinter mir stehen blieb und mir ein bisschen neugierig-scheel, aber freundlich und rotbackig über die Schulter guckte, da spürte ich, wie mein eigenes Gesicht ruck, zuck bis zu den Ohren rot wurde. Und weil mir in der Not nichts anderes einfiel, versuchte ich den Blick auf den Zierteller aus Porzellan über der Dunstabzugshaube zu richten, bei dem einem unweigerlich der Gedanke kam, dass der nur deshalb an dieser Fettsammelstelle aufgehängt worden ist, damit man ihn auch ganz sicher zwei Mal am Tag abwischen muss. Als selbst diese Maßnahme kein bisschen gegen die Hitze in meinem Gesicht zu helfen schien, deutete ich plötzlich aufs Fenster und schrie: »He! Das Kind da isst Sand!«
    Und ziemlich bald war ich auch schon an der Tür und entschuldigte mich, es wäre mein erster Arbeitstag und ich hätte die notwendigen Formulare zu Hause, im Büro oder sonst wo vergessen.
    Es ertönte ein gewissermaßen ausgewogenes Klacken, als die Tür sich schloss. Dahinter blieb Irja zurück und trank weiterKaffee. Mich hatte der Kaffee inzwischen ziemlich zittrig gemacht, aber keine von uns beiden hatte ihn einfach stehen lassen können. In einer Art schuldbewusster Heiterkeit schwebte ich die Treppe hinunter wie der Operngeist. Auf der Höhe des Lüftungsbalkons zwischen Erdgeschoss und erstem Stock traute ich mich, kurz stehen zu bleiben. Ich legte die Stirn an die herbstkühle Scheibe. Draußen sprenkelten bunte Blätter den Parkplatz.
    »Ist mit Ihnen alles okay?«, fragte plötzlich jemand hinter mir.
    »Ja, natürlich«, antwortete ich, noch bevor ich mich zu der Stimme umgedreht hatte. Ich wollte es so sagen, dass ein Hauch guter Laune mitwehte, aber ich merkte, dass ich bloß wie eine griesgrämige alte Frau klang. Und als ich dann mit wahrscheinlich einigermaßen erschrockener Miene den Kopf drehte, sah ich erst mal nichts und niemanden, bevor ich nach unten blickte. Dort stand ein vielleicht dreizehnjähriger Junge, dessen pickeliges und irgendwie orangefarbenes Gesicht an eine mit Nelken gespickte Weihnachtsapfelsine erinnerte. Alles in allem musste man bei diesem Menschenspross und dem auf ihm gestrandeten Gesichtsausdruck unweigerlich daran denken, dass man ihn sicherlich mit zu vielen Karotten gefüttert und ihm vielleicht auch unnötig oft eingeschärft hatte, zu älteren Menschen höflich zu sein.
    »Achnadannschongut«, schnarrte er und verschwand flink in Richtung obere Etagen.
    »Schön, dass die Jugend heutzutage wieder weiß, wie man siezt!«, rief ich ihm hinterher, wieder im völlig falschen Ton, weshalb ich über meinen eigenen Lärm entsprechend erschrak. Auf den letzten Metern nach unten nahm ich so vieleStufen auf einmal, wie ich mich traute, und dabei kribbelte die ganze Zeit in Armen, Beinen und Zähnen die von Kinderstreichen her vertraute Mischung aus Wonne und Panik.
    Draußen schien mir die tief stehende Sonne direkt in die Augen, und ich war für einen Moment vollständig blind. Auf dem Weg zur Bushaltestelle sagte
     ich zwei Mal Guten Tag, einmal zu einem Kiefernstamm und danach zu einer echten fremden Person. Der Herbst strömte mir wie etwas Blaues, Blubberndes in
     die Lungen.

Es vergingen einige blätterteigfarbene Herbsttage, an denen ich eigentlich nicht mehr zustande brachte als ein paar flaumige Gedanken. So sind sie wahrscheinlich, die Tage von glücklichen Menschen, dachte ich, oder zumindest von zufriedenen oder gewöhnlichen, normalen, durchschnittszuversichtlichen, was weiß ich. Von solchen, die im Leben eine Art Sinn und Zweck sehen.
    Nicht dass ich mich jetzt überschäumend glücklich gefühlt hätte, natürlich
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