Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase
Autoren: Mikko Rimminen
Vom Netzwerk:
Die Mädchen saßen immer noch genauso da, schauten jetzt aber verträumt aufs Wasser wie alte Frauen.
    Dann drehte sich diejenige, die mir am nächsten saß, zu mir um, lächelte und formte mit ihren pinkfarbenen Lippen drei runde, freundliche Wörter wie eine Serie Kaugummiblasen: »Schönes Wetter heute.«
    Auch diese jungen Leute hatten gute Manieren, falls es nicht Veräppelung war, oder Verarschung, wie es heutzutage ja schon zur besten Sendezeit heißt. Ich überlegte, was ich Beschreibendes und vielleicht sogar Schwesterliches über all das Wetter ringsherum sagen könnte.
    Was ich herausbrachte, war: »Stimmt.«
    Die Mädchen sahen mich eine Weile abwartend an. Als sie dann feststellten, dass von mir nichts Wortreicheres zu erwarten war, knüpfte die eine, die weiter weg saß, ans Thema an: »Man hat irgendwie noch gar nicht das Gefühl, dass es Herbst wär oder so.«
    »Stimmt«, sagte ich so schnell, dass ich selbst erschrak, aber dann fiel mir weiter nichts mehr ein, und ich ging dazu über, die Handflächen aneinanderzureiben. In der frontal herabscheinenden hellen Sonne sahen die beiden Mädchen fast durchsichtig aus, die Hände wie kleine klare Flüssigkeitsbeutel, in denen miteinander verknotete Adern und schmale Knochenstücke schwammen. Die Mädchen gerieten jedoch kein bisschen aus dem Konzept; als Nächstes näselte die, die mir am nächsten saß: »Wir ham ’ne Freistunde«, und schaute dann wieder verträumt über die Bucht. »Echt super, dass es Freistunden gibt.«
    »Wie wenn man noch ein bisschen Sommer nachholen dürfte«, sagte die andere. Dann guckte sie hinter der näher Sitzenden hervor, sah mir in die Augen und fragte: »Ham Sie irgendwie Urlaub oder sind Sie schon in Rente oder so?«
    Ich starrte der näher Sitzenden auf die Augen, um die herum zottiger, klumpiger Mascara wuchs wie Rosengestrüpp. Hinter ihrem Kopf, auf der anderen Seite der Bucht, kroch ein Hochgeschwindigkeitszug langsam aus der Stadt hinaus, es sah aus, als verschwinde er im linken Ohr des Mädchens und schlüpfe aus dem rechten wieder heraus. Schließlich sagte ich: »Nein.«
    »Okay«, sagte die näher Sitzende gedehnt, als wäre das Wort ein Gummiband.
    »Das heißt, eigentlich«, fing ich noch einmal an, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, unverschämt und verbittert zu klingen. Dann fiel mir wieder nichts mehr ein. Nach zwei viel zu langen Sekunden musste ich mich zur Fortsetzung zwingen: »Eigentlich arbeite ich praktisch so halbtags.«
    »Ziemlich cool, oder«, sagte das am Ende der Bank sitzende Teenagermädchen mit aufrichtig klingender Bewunderung. Beide lächelten.
    Als das Lächeln dann gar nicht mehr aufhörte, fing ich an, nervös zu werden. Ich fummelte mit theatralischer Tatkraft und unter Geknister in meiner Tasche herum, befühlte die glitschige Hühnerlebertüte, tastete nach Portemonnaie, Handy und Kalender und pflückte dann stoßweise Zettel heraus, um sie fieberhaft durchzublättern, ich hatte mir am Vortag einen ganzen Stapel ausgedruckt. Ich runzelte die Stirn, nachdenklich, wie ich annahm, befeuchtete mit der Zunge die Finger, zog ein neues Blatt heraus und warf einen kurzen Blickauf die Mädchen. Es gelang mir sogar noch, so etwas wie ein Lächeln hinzubekommen. Sie nickten gleichzeitig mit den Köpfen, als wären sie Marionetten.
    Wir verstanden uns: wichtige Unterlagen, richtige Arbeit. Ziemlich cool.
    Ich knisterte weiter mit dem Papier. Neben mir setzte wieder aufgeregtes nasales Geplapper ein. Der Wind ließ den Müll zu unseren Füßen rascheln, in den Höhenlagen des Stadtteils Kallio heulte ein Feuerwehrauto auf und verzog sich dann mitsamt seinem Gejaule irgendwo in die Ferne. Auf der Terrasse des Lokals Juttutupa wurde dem Sommer eine Fortsetzung gewährt, ein Trunkenbold grölte einen alten Schlager mit unanständigem neuem Text. Hinter mir, am Straßenrand, wünschte eine männliche Stimme jemandem noch ein schönes Restleben, worauf alles mit dem endgültig klingenden Zuknallen einer Autotür besiegelt wurde.
    Kurz darauf hörte ich nichts mehr. Ich starrte auf die Zettel, blätterte wie wild hin und her. Eine unangenehme Gewissheit breitete sich von der Brust her in Richtung Zehen und Fingerspitzen aus, als wäre das Herz plötzlich dazu übergegangen, eiskaltes Benzin zu pumpen.
    Erst jetzt wurde mir klar, wie wirr meine Fragen in Kerava gewesen waren. Sie hatten sich hauptsächlich mit dem Haushalt beschäftigt, was natürlich ein naheliegender Themenbereich für den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher