Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fallera

Fallera

Titel: Fallera
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Kapitel Eins
    »Kein Sturz ist tiefer als der
    in die Abgründe der menschlichen Seele.«
    G. G. JUNG
     
    »Ich bin unschuldig wie ein Lamm«, sagte ich, automatisch.
    »Kryszinski«, seufzte es am anderen Ende der Leitung, »ich habe Sie nur gebeten, heute einmal bei mir im Büro vorbeizuschauen. Sie können es also tun, oder Sie können es lassen. Und fragen Sie mich nicht, was mir lieber wäre.«
    Ich nahm den Hörer vom Ohr und sah ihn kurz und überrascht an. Dies war ein Novum. Menden bittet normalerweise nicht. Und er lässt einem auch nicht die Wahl. Normalerweise kommandiert er, und wenn man nicht sofort spurt, schickt er zwei Mann raus, zum Nachhelfen. Wie gesagt, normalerweise.
    Sie mussten bis zum Hals in der Scheiße stecken auf dem Präsidium.
    »Was wäre Ihnen denn lieber?«, fragte ich, den Hörer wieder am Ohr, und hatte Zeit, die Pillen vor mir auf dem Küchentisch in drei Reihen zu sortieren - links die blauen Dragees, in der Mitte die hellgelben Tabletten und ganz nach rechts die zur einen Hälfte weiß und zur anderen transparent gehaltenen Kapseln voll winziger roter Kügelchen -, bevor der Hauptkommissar seinen langen Atemzug der mühsam erkämpften Beherrschung hinter sich gebracht hatte. Doch als er dann endlich sprach, klang er völlig verändert, geradezu fremd.
    »Ich fände es sehr nett, wenn Sie sich die Zeit nähmen«, sagte er, und ich musste mit mir ringen, den Hörer nicht ein zweites Mal in kritischen Augenschein zu nehmen.
    »Ich habe Ihnen einen kleinen, leichten Job anzubieten, der eigentlich voll auf Ihrer Linie liegen müsste und der obendrein mehr als angemessen dotiert ist.« Und seine Stimme klang warm und freundlich dabei, fast schon väterlich. Wie die Stimme des Mannes mit der Haube über dem Kopf, der sagt: >Sehr schön, und wenn Sie jetzt noch so reizend wären, Ihren Kopf durch diese Schlaufe hier zu stecken, macht ein gut sitzender Strick die ganze Angelegenheit doch so viel einfacher für beide von uns.<
    Genau so.
    Warum ich trotzdem hingegangen bin?
    Tja.
    Gott im Himmel, da hatten sie uns ja ein wundervolles Panoptikum von Wackelköpfen zusammengestellt. Ich besah sie mir unauffällig, während Hufschmidt ein großes Gehampel daraus machte, mir die Handschellen aufzuschließen. Im Hintergrund, mit dem Rücken zu mir, in Betrachtung der Aussicht versunken, gleich zwei Rollstuhlkrüppel. Toll. Das würde eine schöne Plackerei werden, in einer Gegend wie dieser. Dazu kamen, auf den ersten Blick, ein Dorftrottel, dem sie die Wachstumsdrüse zehn Jahre zu spät ausgeknipst hatten, ein wie ein später Picasso in seinen Proportionen verschobener Spastiker, ein kleiner, wulstiger Mongoloide, eine babbelnde Schwachsinnige mit einer beunruhigenden, faustgroßen Delle in der Stirn; und dieser Klops auf Beinen mit den halb verhangenen Augen und dem schmierigen Grinsen, der auf mich zugetrippelt kam und mir eine schwielige Rechte entgegenstreckte, die ich garantiert nicht schütteln würde, war in schönster Offensichtlichkeit vom Onanieren verblödet.
    »Guten Morgen«, strahlte er mich an, mit Zähnen, die noch eine Schattierung gelblicher daherkamen als altes Elfenbein. »Sie müssen Kristof Kryszinski sein, aus Nordrhein-Westfalen, richtig?« Und er hielt seine Hand weiterhin ausgestreckt, ungeachtet der Tatsache, dass meine sich angewidert hinter meinem Rücken zu verstecken suchte. Was kommt nach Elfenbein?, dachte ich. Zwölfenbein?
    »Ich bin Doktor Weifenheim«, stellte er sich vor, und meine Rechte fühlte sich eigenartig in die Pflicht genommen, »der geistige Urheber dieses Projekts.«
    Sein Händedruck war überraschend trocken und eigenartig explorativ. Als wolle er mal kurz meine Handknochen auf Vollständigkeit überprüfen. »Meine Aufgabe unterwegs wird die psychologische Betreuung und« - er machte eine schwangere Pause - »Begutachtung sein.«
    »Was genau heißt >Mehr als angemessen dotiert    Hauptkommissar Menden stand am Fenster und blickte sinnend hinaus. Das kann er, da macht ihm keiner was vor. Man könnte auf die Idee kommen, der Staat zahle ihm sein Gehalt einzig und allein dafür, dass er den Innenhof des Mülheimer Präsidiums im Auge behält.
    »Schließen Sie die Tür, Kryszinski, und setzen Sie sich.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher