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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase
Autoren: Mikko Rimminen
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Kälte sogar durch die Handschuhe drang, obwohl es im übrigen Auto so heiß wie in der Sauna war; und endlich, unmittelbar vor der Brücke, die über die Eisenbahnschienen und an den Schrebergärten vorbei nach Vallila führte, ja, da also bekam ich, sicherlich nicht durch eigenes Verdienst, sondern eher dank einer Vorsehung, das Autowieder unter Kontrolle, so dachte ich es mir, tatsächlich kam mir kurz sogar ein Schutzengel in den Sinn, löste sich aber sofort wieder auf, begleitet von einem abscheulichen, nassen und quasi spuckigen Schmatzen, als die Reifen über ein Hindernis hubbelten; gleich darauf wiederholte sich der entsetzliche Aufprall bei den Hinterrädern, und während ich die restliche Brücke überquerte, dachte ich nur noch, ergriffen von einem vom Scheitel herab laufenden, alles überziehenden Horror, dachte ich also nur noch, dass ich nun dem Ganzen die Krone aufgesetzt hatte, indem ich einen Unschuldigen überfahren hatte.
    Und direkt nach der Brücke ging es dann los, ein unwiderruflich wirkendes Spurgeln und Pruckeln, und zunächst glaubte ich schon, im Tiefschnee gelandet zu sein, man sah bei dem Gestöber ja nichts, aber dann bretterten sie mir auch schon wieder in den Kopf, die Gedanken, die schlimmen Gedanken, Gedanken, die man nicht denken wollte und eigentlich auch nicht konnte, die aber einfach angekrochen kamen und sich in den Außenbezirken des Hirns niederließen, um ihre kriechtierhafte Existenz zu melden. Plötzlich war der Kopf voller Varianten, Kinder, Erwachsene, Mütter, Väter, Liebende, Minderbemittelte, geistig Behinderte, alles gleich furchtbar, sodass ich gar keine Lust mehr hatte, zu schlafen, sondern nur noch sterben wollte; gleichzeitig ging es immer zäher voran, und da konnte man natürlich nicht anders, als sich zu fragen, ob man da gerade einen Menschenrest mitschleifte oder ob das nur Schnee war, Schnee von gestern oder am liebsten gleich ein Traum, aber als an der Kreuzung von Hämeentie und Sturenkatu von den Rädern her zuerst ein lautes Brüllen und danach eine Art Knirschen und Sirren und Zischen zu hörenwar, gleichzeitig vorne blaurote Lichter zu schwirren begannen und unter dem Auto etwas erschlaffte und das ganze Gefährt dabei gegen etwas Hartes und Kreischknirschendes torkelte und stehen blieb, musste ich wohl oder übel einsehen, dass es zumindest kein Traum war, aus dem ich durch Aufwachen oder Zurückstoßen herauskommen würde.
    Lange saß ich einfach nur da. Die Lüftung toste ohrenbetäubend und spuckte mir trockene, heiße Luft direkt in die Augen, es war schwer zu sagen, ob sie gerade erst losgelegt oder schon die ganze Fahrt über so geschnauft hatte. Zwischen den Instrumenten hinterm Lenkrad brannte ein Konglomerat überwiegend roter Lämpchen, wie ein kleines Dorf an einem fernen Berghang, außerdem sah ich sowohl vor mir als in sämtlichen Spiegeln noch mehr blaues und rotes Flackern. Es wurde allmählich dämmerig. Der Schnee war blau. Kartoffelchipsgroße Schneeflocken landeten auf der Windschutzscheibe, dünn gehäkelte Flocken, sie schmolzen schnell und ließen die im Gestöber verschwindenden Häuser und die dazwischen stehenden Einsatzfahrzeuge zu tränender, länglicher, melancholischer Lava zusammenfließen. Durch das rechte Seitenfenster sah ich die undeutlichen Umrisse der Paulskirche hinter Ahornbäumen aufragen. Die schwarzen Baumstämme waren an der Nordseite von Schneezuckerguss überzogen, der so stabil aussah, als wären die Bäume mit zähflüssigem Rasierschaum bespritzt worden. Es war keine einzige menschliche Gestalt in Sicht, noch immer nicht, bloß Gebäude und Bäume und Fahrzeuge und Lichter und natürlich Schnee, die Lüftung brüllte weiterhin, langsam gewöhnte man sich daran, auf einmal wurde es irgendwie vollkommen still, so still, wie es nur sein kann, wenn man so gut wie nichts als fallendenSchnee sieht; auch im Innern war es still, wie man so sagt, kaum möglich, noch etwas zu fühlen, zwar war mir zum Heulen, klar, aber die Augen blieben knochentrocken, auch hätte ich lachen können, aber in den Gesichtsmuskeln rührte sich nichts, obwohl ich es versuchte. Und da weiterhin niemand zu sehen war und nichts passierte, außer dass der Schnee auf der Scheibe schmolz und alles verzerrte und in die Ferne rückte, da sackte ich quasi zwangsläufig in eine Art Halbbewusstlosigkeit ab, und so hing ich über dem Lenkrad und lauschte dem Rauschen, das sich in Stille verwandelt hatte oder umgekehrt, und starrte auf ein
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