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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase
Autoren: Mikko Rimminen
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handtellergroßes Stück Papier auf der feuchten Gummimatte vor dem Beifahrersitz, für eine Weile war es mir an und für sich und in seiner ganzen Undeutlichkeit genug, dann nahm es aber aus irgendeinem Grund doch eine Form an, es erinnerte ein bisschen an Sizilien, aber so gern ich nach dieser Assoziation innerlich in südlichen Ländern, bei Feuer, das die Zehen kitzelte, und bei einem Nachmittagsschläfchen verweilt hätte, sosehr rief mir der Zettel doch Kerava ins Gedächtnis, eine der vielen Uhren an so mancher Wand und dadurch auch alles andere, und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu bücken, um es genauer ins Auge zu fassen, das feuchte Stück Papier, und bei näherer Betrachtung erkannte ich sofort, was es war, einer meiner ersten Versuche, eine blöde Frage, die ich trotz ihrer Blödsinnigkeit sowohl bei Irja als auch bei den Jalkanens losgelassen hatte, o je, bevorzugen Sie frische oder getrocknete Pflaumen. Und kaum hatte ich quasi schläfrig gedacht, ich muss den Zettel als eine Art Andenken aufheben, den Arm nach ihm ausgestreckt und ihn sogar schon zwischen die Finger bekommen, da sah ich im Augenwinkel eine Gestalt amfahrerseitigen Fenster auftauchen, worauf ich schnell die Hand aus dem Fußraum nahm und in Sitzposition zurückschnellte und dabei erst auf die Idee kam, dass man bei solchen abrupten Bewegungen in bestimmten Ländern und Situationen wahrscheinlich ziemlich leicht erschossen wird.
    Aber sie schossen nicht. Ich kurbelte das Fenster herunter, weil die Tür ja klemmte, und schaute hinaus auf die Gestalt, von der bei dem Licht und dem Schneegestöber unmöglich mehr zu sagen war, als dass es sich um eine männliche großen Ausmaßes handelte, dem Overall nach zu schließen um einen Polizisten. Meine rechte Hand lag schlaff im Schoß, der schmierige Formularfetzen war an den Fingern kleben geblieben. Ich schüttelte ihn schlaff zwischen den Sitzen ab und dachte zerstreut, jetzt sind andere mit Fragen dran.
    »Ist mit Ihnen alles okay?«, fragte der Wachtmeister und schaute zum Fenster herein.

Damit fing er an, der Winter. Mehr als eine Woche lang schneite es, dann wurde es kalt, und zwar richtig, es kamen harte Minustage, an denen die Nasenspitze glitzerte, sich die Zehen krümmten und die überstrapazierten Heizkörper knurrend Hitze ausstießen. Niemand schien sich daran zu erinnern, wann es in Helsinki zuletzt einen derart echten Winter gegeben hatte.
    Es war erstaunlich. Man kam mit dem Räumen von Straßen und Gehwegen nicht hinterher, so stark schneite es, der Verkehr war durcheinander und an jeder Ecke herrschte der Ausnahmezustand. Die Menschen kämpften sich mit zerknautschten Gesichtern durch den dichten Schnee und wirkten doch zufrieden und beinah freudig überrascht. Die Kinder kriegten sich gar nicht mehr ein. Überall in Hakaniemi sah man begeisterte Gesichter hinter Schneehaufen hervorlugen, die Luft war voller Schneebälle und gellender Schreie, am Sparkassenufer entstand gleich eine ganze Reihe Schneemänner. Eines Nachts hatte jemand mitten in unserer Einfahrt einen gebaut, in dem eine Bierflasche als Nase steckte, aber auch eine in der Wölbung der untersten Kugel, weshalb er sicher nicht von Kinderhand stammte.
    In der Nacht war ohnehin alles anders. Leise schwebte der dichte Schnee durch die windstille Luft. Bisweilen war schwer zu sagen, ob es vom Himmel zur Erde schneite oder umgekehrt.Die Geräusche der Stadt wurden gedämpft und gingen unter, es war, als würde die Welt mit einem flockigen Universalbefehl zum Schweigen gebracht.
    Einige Tage lang schluckte die schwarze, unbewegte Bucht unermüdlich Schnee, dann fror sie zu. In den stillen Nächten knackte und knisterte die Kälte, tagsüber erfüllte ein klares, blendendes Licht jeden Winkel, in der Luft lag ein Wispern, das zwischen Häuser und Autos drang und hin und wieder sogar auf der Hämeentie zu hören war, wenn die Autos an den Ampeln hielten. Die Menschen dampften. Trotz der enormen Kälte wehte von irgendwoher eine sonderbare Feuchtigkeit heran, die sämtliche Bäume in der Stadt mit dickem, leuchtend weißem Perlmutt überzog. Man hatte das Gefühl, sich durch ein riesiges Korallenriff zu bewegen.
    Oft vergisst man ja, seine Heimatstadt zu lieben, aber jetzt liebte ich sie. Noch nie hatte ich Helsinki so schön gesehen. Und in Kerava war es den Zeitungsbildern nach zu schließen kein bisschen hässlicher.
    Auch sonst herrschte seltsamer Frieden. Endlich ließ ich mir von der Ingenieursfrau
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