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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot
Autoren: Michael Peinkofer
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Abenteuer erlebt hätte, und schickte mich zurück nach London, auf Kingsleys Schule für höhere Töchter.«
    »Du bist nicht lange dort geblieben«, wandte Laydon ein.
    »Lange genug, um zu wissen, wo mein Platz in dieser Gesellschaft ist«, gab Sarah bissig zurück. »Das letzte Mal, als ich diesen Platz verließ, hat mein Vater dafür mit dem Leben bezahlt.«
    »Jetzt verstehe ich«, stellte der Doktor mit einigem Unglauben fest. »Du machst dir Vorwürfe. Du gibst dir die Schuld an dem, was in Alexandrien geschehen ist.«
    »Ich habe viel darüber nachgedacht«, gab Sarah zu. »Und ich frage mich, ob ich es nicht hätte verhindern können…«
    »Nein, Sarah. Es war ein feiges Komplott, und das weißt du. Es lag nicht in deiner Macht, es zu verhindern.«
    »Wie auch immer – seit Vater in meinen Armen starb, habe ich nach Antworten gesucht. All das muss einen Sinn haben. Es darf nicht sein, dass Vater nur deshalb sein Leben ließ, weil eine Laune des Schicksals es so wollte. Es muss einen tieferen Grund dafür geben, eine Verbindung zur Vergangenheit. Verstehst du, was ich meine? In der Geschichtswissenschaft gibt es immer eine Verbindung zur Vergangenheit, nichts geschieht aus purem Zufall…«
    »Vielleicht doch«, warf Laydon ein. »Manchmal geschehen Dinge, ohne dass sie einen Sinn ergeben, Sarah.«
    »Nicht solche Dinge.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Was macht dich so sicher?«
    Sie griff erneut nach dem Weinglas und leerte es, mit weit größeren Schlucken, als es sich für eine Dame geziemte. Eine Antwort blieb sie schuldig, aber Laydon gab nicht auf.
    »Was macht dich so sicher, Sarah?«, fragte er noch einmal. »Du scheinst etwas zu wissen, das außer dir niemand weiß. Was ist es, Sarah? Willst du es mir nicht verraten?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich bin dein Pate«, erinnerte Laydon sie. »Wenn du dich mir nicht anvertrauen willst, wem dann? Nach dem Tod deines Vaters bin ich wohl derjenige, dem du am meisten vertrauen kannst.«
    Sarah besann sich. Es stimmte – Mortimer Laydon war der beste Freund ihres Vaters gewesen und hatte fast zur Familie gehört. Und obendrein war er Arzt – vielleicht konnte er ihr tatsächlich helfen.
    Entschlossen stellte sie ihr Glas beiseite und erhob sich. Unter Missachtung jeder Etikette nahm sie ihren Stuhl und umrundete damit die Tafel, um sich direkt neben den Doktor zu setzen.
    »Ich habe einen Traum«, eröffnete sie ihm kurzerhand.
    »Einen Traum?«
    Sie nickte. »Einen Traum, der immer wiederkehrt. Es sind stets dieselben Bilder, die ich sehe, aber ich weiß nicht, was sie zu bedeuten haben.«
    »Interessant«, sagte Laydon und reckte wissbegierig das Kinn vor. »Und seit wann hast du diesen Traum?«
    »Seit Vaters Tod.«
    »Ich verstehe.« Der Doktor nickte verständnisvoll, und ein undeutbarer Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Und was sind das für Bilder, die du siehst?«, fragte er vorsichtig.
    »Ich weiß es nicht. Es sind keine konkreten Bilder, sondern nur verschwommene Eindrücke. Farben und Geräusche. Und manchmal auch Gerüche.«
    »Aber du kannst sie nicht einordnen, oder?«
    »Nein.« Erneut schüttelte sie den Kopf. »Dennoch ängstigen sie mich, denn sie haben mit der Vergangenheit zu tun.«
    »Sarah.« Der Doktor schürzte die Lippen. »Nicht alles, was wir träumen, hat zwangsläufig mit der Vergangenheit zu tun. Vieles hat seinen Ursprung in uns selbst, und ich weiß nicht, ob…«
    »Mit meiner Vergangenheit«, schränkte Sarah ein, und plötzlich wusste Laydon, worauf sie anspielte.
    »Tempora atra«, flüsterte er. »Die Dunkelzeit.«
    Sarah nickte. »So nannte mein Vater das Phänomen. Aber auch er konnte sich nicht erklären, was es damit auf sich hat.«
    »Und du glaubst, dass die verlorenen Jahre deiner Kindheit mit diesen Träumen in Verbindung stehen?«
    »Es wäre möglich, oder nicht?«
    »Natürlich.« Laydon rieb sich nachdenklich die Schläfe. »Ich nehme an, dass ein so furchtbares Erlebnis wie der Tod des Vaters durchaus dazu angetan sein könnte, verschüttete Erinnerungen wieder zutage zu befördern. Andererseits sagst du selbst, dass die Bilder, die du siehst, undeutlich und verschwommen sind, also könnten sie alles Mögliche bedeuten, nicht wahr?«
    »Das stimmt.« Sarah nickte, und am feuchten Glanz ihrer Augen konnte der Doktor erkennen, dass die Angelegenheit sie weit mehr mitnahm, als sie zugeben wollte. »Aber ein Gefühl sagt mir, dass es einen Zusammenhang zwischen meinen Träumen und Vaters Tod gibt. Du
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