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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot
Autoren: Michael Peinkofer
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ruhen.«
    »Auf Vater«, stimmte Sarah zu, und beide tranken.
    »Ein guter Tropfen«, stellte Laydon mit Blick auf den rubinroten Inhalt seines Glases fest. »Mild und würzig zugleich. Das erklärt, weshalb dieser Franzose zu den bevorzugten Weinen der guten Londoner Gesellschaft gehört.«
    »Tut er das?«, fragte Sarah.
    »Allerdings. Und dass du etwas davon in deinem Weinkeller hast, beweist mir, dass du den Genüssen des Lebens weniger abgeneigt bist als dein Vater – und darüber bin ich sehr erfreut, Sarah.«
    »Täusche dich nicht, Onkel«, erwiderte sie. »Ich bin der Vergangenheit ebenso verfallen, wie mein Vater es war, und ich würde das hier« – sie deutete auf den Dekantierer, in dessen breitem Bauch der Claret geheimnisvoll schimmerte – »jederzeit gegen das Privileg eintauschen, eines der Rätsel der Menschheitsgeschichte zu lösen.«
    »Du sprichst tatsächlich wie dein Vater.« Laydon lächelte.
    »Warum auch nicht? Er war mein Lehrer, und es ist seine Arbeit, die ich fortsetze. Seine Studien.«
    »Ich verstehe. Dann hat die Akademie der Wissenschaften dir also einen Forschungsauftrag erteilt und dich mit Geldern und Mitteln ausgestattet?«
    »Natürlich nicht.« Sarah schüttelte den Kopf über diese seltsame Frage. »Du weißt genau, dass die Mitgliedschaft in der Akademie ausschließlich Männern vorbehalten ist. Diese selbstgefälligen Idioten würden sich lieber sämtlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen, als eine Frau in ihre Mitte aufzunehmen.«
    »Auch dann, wenn sie so brillant wäre wie du?«
    Wieder verzog Sarah das Gesicht. »Ich danke dir für das Kompliment, Onkel, aber ich fürchte, deine Geschlechtsgenossen sind noch um einiges bornierter, als du es dir vorzustellen vermagst.«
    »Schwer vorstellbar, in der Tat.« Laydon nahm noch einen Schluck. »Wir leben in modernen Zeiten, Sarah. Es spielt keine Rolle, welches Geschlecht jemand hat, wenn er nur…«
    »Glaubst du das wirklich, Onkel?«
    »Allerdings.«
    »Dann hebe ich als Gastgeberin und Herrin von Kincaid Manor die Tafel hiermit auf und gestatte dir zu rauchen. Wirst du es tun?«
    »Natürlich nicht.«
    »Weshalb nicht?«
    »Nun – weil es einem Gentleman aufrechter Gesinnung niemals in den Sinn kommen würde, in Gegenwart einer Lady zu rau…« Der Doktor unterbrach sich, als er merkte, dass Sarah ihn überlistet hatte, und blickte schuldbewusst in sein Weinglas.
    »Die Wahrheit, Onkel«, erklärte Sarah nicht ohne Bitterkeit, »ist, dass Frauen in dieser Gesellschaft nicht wirklich respektiert werden. Auch mein Vater hat das gewusst, dennoch hat er mir sowohl Kincaid Manor als auch seine Bibliothek und seine Sammlung vermacht.«
    »Weil er wusste, dass du nicht aufgeben würdest«, meinte Laydon voller Überzeugung. »Dass du dich mit gesellschaftlichen Beschränkungen nicht einfach abfinden würdest.«
    »Dann hat er sich geirrt«, erwiderte Sarah. »Ich bin keine Revolutionärin, Onkel Mortimer. Alles, was ich möchte, ist in Ruhe die Studien meines Vaters fortsetzen. Eingebildete Hohlköpfe aus Oxford oder Cambridge brauche ich dazu nicht.«
    »Vielleicht nicht. Aber du wirst die Ergebnisse deiner Forschungen auch niemals veröffentlichen können. Wirst niemals die Früchte deiner Arbeit ernten.«
    »Und?« Sarah zuckte mit den Schultern. »Mein Vater hat die Früchte seiner Arbeit geerntet. Er war ein anerkannter Wissenschaftler und wurde für seine herausragenden Leistungen geadelt. Und was hat es ihm am Ende gebracht? Er starb fern von seiner Heimat in einem fremden Land.«
    »Dein Vater ist für seine Überzeugung gestorben«, verbesserte Laydon, »für das, was ihm wichtig war. Ich erinnere mich, dass er nie darüber hinweggekommen ist, dass dieser Deutsche vor ihm Troja entdeckt hat. Gardiner wollte stets der Erste sein, wollte die Geheimnisse der Vergangenheit ans Licht bringen, bevor es ein anderer tat, und dafür war er auch bereit, sein Leben zu geben. Und du, Sarah, hast dieselbe Leidenschaft in dir.«
    »Keineswegs.«
    »Willst du mir das wirklich erzählen? Schon als junges Mädchen hast du ferne Länder bereist und den Odem des Abenteuers geatmet. Du kennst nichts anderes als das, Sarah, und willst mir dennoch weismachen, dass du damit zufrieden bist, in der Abgeschiedenheit eines alten Gemäuers zu sitzen und in alten Büchern zu stöbern?«
    »Du vergisst, dass ich auch eine gute englische Erziehung genossen habe, Onkel Mortimer. Irgendwann beschloss mein Vater, dass ich genug
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