Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
Vom Netzwerk:
Wörtern Einsicht und Gemütlichkeit und vielen anderen.«
    Damit schien der Philosoph seine Führung beenden zu wollen. Frau Antoinette reckte sich etwas und fragte: »Haben wir damit schon alle Räume dieser Abteilung besichtigt?«
    »Bei weitem nicht«, verriet der Philosoph. »Da haben wir noch die Kabinette ›Feindschaft und verwandte Regungen‹, ›Charakter und Unsitten‹, ›Sitzungen und Schlafsucht‹, ›Wunschdenken und Statistik‹, und noch einige Dutzend andere.«
    »Um Gottes willen«, rief Frau Antoinette aus, »und dabei ist doch diese Abteilung nur eine unter Hunderten. Wie haben die Menschen das seinerzeit nur ertragen können? Die hatten wohl viel Humor?«
    »Im Gegenteil«, versicherte der Philosoph, »im Gegenteil.«



 
     
     

Was ist Utopie?
    Versuch einer Entwirrung
     
    Zum ersten: Wenn wir unter Utopie das verstehen, was nie und nirgends Wirklichkeit wird, dann ist viele Literatur Utopie. Nicht nur die utopische. Nur macht diese keinen Hehl daraus. Oder doch? Wenn sie sich als Wissenschaftliche Phantastik (SF) ausgibt? Oder hat sie ein spezifisches Verhältnis zur Wissenschaft? Zu den Gesellschaftswissenschaften verhält sich die utopische Literatur entweder vorwissenschaftlich (was vor Marx nur ein objektiver Mangel war) oder antiwissenschaftlich (was heute mehr als nur ein subjektiver Mangel ist). Und wenn sie als sozialistische utopische Literatur von den Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung ausgeht, unterscheidet sie sich darin nicht von aller übrigen sozialistischen Literatur. Wie darf sie dann das Attribut der Wissenschaftlichkeit allein beanspruchen? Weil sie ein spezifisches Verhältnis zu den technischen oder Naturwissenschaften hat?
    Das hat nur ein Teil von ihr, also darf daraus kein Titel für die gesamte utopische Literatur abgeleitet werden. Was ist sie dann in ihrer Gesamtheit? Utopie. Aber andere als die andere Literatur.
    Zum zweiten: Der Reiz aller Literatur liegt in dem Spannungsverhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit. Da aber ist zu unterscheiden zwischen dem heute Möglichen, dem morgen (zukünftig) Möglichen und dem Unmöglichen. Und indem die utopische Literatur das erst morgen Mögliche darstellt, ist sie Utopie. Sie ist Utopie nicht, weil sie von der wissenschaftlichen Voraussicht ausgeht, sondern weil sie die in ihrem Wesen vorhersehbare Entwicklung als Wirklichkeit darstellt, also in konkreter Form der Erscheinung. Wie in der Gegenwart so auch in der Zukunft kann das Wesen in unendlich vielen, also nicht vorhersehbaren Formen erscheinen, allerdings nicht in unmöglichen, das Wesen nicht verwirklichenden Formen. Der Zufall kann sich nicht mehr leisten, als die Notwendigkeit erlaubt. Die dialektische Einheit von vorhersehbarem Wesen und unvorhersehbarer Erscheinung macht die utopische Literatur zu realer Zukunftsliteratur und zugleich zu echter utopischer Literatur. Sie ist nicht schlechte (pure, gesetzlose, illusionäre) Utopie; sie ist relative, aber darin echte Utopie. Die reale Darstellung der Zukunft hat ihren eigenen Wert. Wo Utopie nur der Verfremdung von Gegenwart dient, wird dieser Eigenwert nicht erbracht. Die Darstellung der Zukunft kommt aber einem natürlichen Bedürfnis entgegen. Der Mensch will sich nicht nur in der Gegenwart und Vergangenheit, er will sich auch in der Zukunft erfahren. Und diese Darstellung kommt auch dem Verfremden entgegen, denn sie ist kein willkürliches, sondern das historische Maß der Gegenwart: das Urteil kommt von vorn.
    So ignorant es ist, die utopische Literatur auf Zukunftsliteratur zu reduzieren, so reduziert ist utopische Literatur, die das historische Maß der Zukunft ignoriert. Sie ist auf pure Utopie reduziert.
    Zum dritten: Neben dem Typus der realen gesellschaftlichen Utopie steht der Typus der realen technischen Utopie. Ein dritter Typus ist die verfremdende Utopie. Da diese das Utopische nur verwendet, um Gegenwärtiges (oder gar Vergangenes) zu treffen, ist sie, genau genommen, nur der Form nach utopische Literatur. Aber deshalb nicht weniger legitim als alle andere. Und schließlich hat jeder dieser drei Typen sein phantastisches Pendant. In der phantastischen Utopie (ob nun gesellschaftliche, technische oder verfremdende) wird wie im Märchen das Unmögliche möglich, tritt an die Stelle des Glaubhaften das Zauberhafte. Ob nun aber phantastisch oder real, immer muß Utopie ihre Schlüssigkeit und, will sie echte und doch nicht schlechte Utopie sein, ihre Bezüglichkeit haben,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher