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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
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ich ihn selbst jetzt, da er, um mich eines Bildes zu bedienen, schon den Fuß angehoben hat, um über die Schwelle zu treten, wenn ich ihn noch jetzt am Rockzipfel festhalte, um dir, verehrter Leser, bevor du weiterliest, schnell noch eine Anmerkung zur Person des Museumsführers ins Ohr zu raunen. Dieser freundliche Herr ist nämlich nicht, wie man billigerweise annehmen kann, Sprachwissenschaftler von Profession. Vielmehr haben wir es hier mit einem ausgemachten Philosophen zu tun. Ich sage das nicht, um einer formalen Neugier deinerseits zuvorzukommen, sondern damit du hinter den Ausführungen dieses Mannes, die dir ja nun gleich zu Ohren kommen werden, die gehörige Tiefe vermutest und ihnen das Gewicht beilegst, das sie verdienen. Die Menschen haben nun mal den natürlichen Fehler (weshalb es eine Kunst ist, ihn wegzubringen), nicht mehr zu hören, als sie erwarten. Übrigens ist auch nur ein Philosoph imstande, ohne Hilfsmittel und sozusagen mit bloßen Händen die Fragen, die die Besucher gerade in dieser Abteilung stellen, zu beantworten oder auch nur zu ertragen, wie du gleich selber feststellen kannst. Damit lasse ich Herrn Mullerowitschs Rockzipfel fahren und ihn selber mit dem noch immer angehobenen Fuße über die Schwelle treten. Und wir wollen ihm und seinen Angehörigen ohne weiteren Verzug folgen.
    Zunächst erklärte der Museumsführer der Familie M. und einer mittleren Zahl anderer Besucher, die ungefähr mit uns eingetreten war, daß diese Abteilung der Fülle des Materials halber in verschiedene Kabinette unterteilt sei, so zum Beispiel in das Kabinett »Erziehung und Familie«, wo abgeschaffte Wörter wie Musterschüler, hoffnungsloser Fall, Maulschelle und Pauker oder Ehekrüppel, Scheidungsgrund und Veilchen ausgestellt waren; oder um ein anderes Beispiel zu nennen, in das Kabinett »Haushalt und Versorgung«, wo solche Wörter wie Geschirrabwaschen, Kühlschrankreparatur und Käsemaden oder Schlangestehen, Hamwernich und Trinkgeld aufbewahrt wurden. Während dieser Erläuterungen wurden wir in das Kabinett »Wissenschaft und Kunst« geleitet.



 
     
     

Dem Besucher bot sich das etwas einförmige Bild einer großen Zahl verschiedengestaltiger Glasvitrinen, in denen oft eines allein, nicht selten aber auch zwei oder mehrere Wörter aufbewahrt oder, da es sich ja um abgeschaffte oder ausgestorbene Exemplare handelte, besser gesagt: aufgebahrt worden waren. Unser freundlicher Herr trat auf eine der ersten Vitrinen zu, in der ein einziges Wort auf einem Samtkissen ruhte, und stellte sich halb seitwärts vor das Ausstellungsstück. Wir konnten jetzt sehen, daß an der vorderen Kante des Tischchens, auf dem die Vitrine stand, eine mäßig große Tafel angebracht war, auf welcher der Lebenslauf, will heißen Geburt, hauptsächlich Schicksale sowie Todesursache und Zeitpunkt des Hinscheidens des hinter dem Glase ruhenden Wortes verzeichnet waren. Die Vitrine selbst enthielt das Wort Stubengelehrter, ein Exemplar aus der wissenschaftlichen Gruppe also. »Dieses Wort«, ergriff unser Führer das Wort, »verdankt seine Entstehung der Zeit der Scholastik, in der es üblich war, sich sein Leben lang mit der Lösung nur einer Aufgabe, die oft genug lediglich in der Interpretation eines einzigen Satzes, beispielsweise des Aristoteles, bestand, zu begnügen. Als dann«, so fuhr er fort, »die Akademien gegründet wurden, erhielt diese Gattung Mensch neue Perspektiven, so daß es nicht selten geschah, daß eine und dieselbe Aufgabe sich auf den Sohn oder gar den Enkel forterbte, ohne daß sich auch nur einer von ihnen nach dem Nutzen seines Tuns gefragt hätte. Wie Sie«, wandte er sich jetzt deutlicher gegen seine Hörerschaft, »auf der Tafel lesen können, starb das Wort Stubengelehrter erst in dem Augenblick, als die von ihm bezeichnete Erscheinung an die frische Luft, will heißen ins praktische Leben versetzt wurde.« Nach diesen Worten schien der Philosoph das Kabinett »Wissenschaft und Kunst« verlassen zu wollen, um in den anliegenden Raum einzutreten. Herr M. hielt ihn jedoch am Ärmel fest. »Gestatten Sie eine Frage. Ich habe gehört, in diesem Kabinett sei auch das Wort Theaterabonnement enthalten, ich kann es aber nicht finden.«
    »Da ist«, entgegnete der Befragte knapp angebunden, »vor kurzem einer drüber gefallen. Es befindet sich in Reparatur.«
    »Aha«, bedankte sich M. und wir traten in das nächste Gelaß, das Kabinett »Theologie und Aberglaube«.
    Erfahrungsgemäß erregten
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