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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
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hier nur zwei Wörter das Interesse der Besucher. Unser Philosoph ging dann auch sofort auf den größten Behälter zu, in dem die Wörter Gott und Teufel beieinander thronten. »Das Wort Gott«, begann er seinen Vers herzusagen, »hat wie alle in diesem Raum ausgestellten Wörter die Eigentümlichkeit, nie einen mit ihm korrespondierenden Gegenstand in der Wirklichkeit besessen zu haben. Darum ist es auch keines normalen Todes gestorben, sondern es hat sich vielmehr ausgezehrt.«
    »Wie konnte sich dieses Wort aber über Jahrtausende halten?« fragte ein Besucher, der einen Blick auf die Tafel mit den Lebensdaten geworfen hatte.
    »Aufgrund eines kuriosen Irrtums«, erklärte der Philosoph. »Man ging von der leichtfertigen Annahme aus, daß die Existenz eines Wortes ohne einen zugehörigen Gegenstand schlechterdings nicht möglich sei. Wenn sich nun der Gegenstand des Wortes Gott nicht auffinden lasse, dann habe er eben die Eigenheit, daß er mit den üblichen Methoden nicht dingfest gemacht werden könne. Das heißt aber, ihm einem Irrtum zuliebe Eigenschaften zuzuschreiben, die nicht einmal der Mensch aufzuweisen hat.«
    »Und also hat man Jahrtausende an etwas geglaubt, was gar nicht existierte?« sagte der nämliche Besucher.
    »Aber das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.«
    »Stellen Sie sich vor«, versuchte es der Philosoph mit einem Gleichnis, »Sie reden auf Herrn B. ein, der sich schon eine ganze Weile aus dem Zimmer begeben hat, ohne daß Sie es bemerkt hätten. Nehmen wir an, Sie hatten die Augen geschlossen, weil Sie sehr in sich gekehrt waren.«
    »Wie komisch!« warf Frau M. ein und gähnte unter der Hand.
    »Sicher würde«, nahm der Philosoph wieder das Wort, »ein dritter über eine solche Szene äußerst belustigt sein. Wie aber, wenn dieser Herr B. gar nicht erst im Zimmer gewesen war, weil es ihn überhaupt nicht gab?«
    »Aber hören Sie mal…«, fuhr Frau M. erschrocken auf. Doch dann besann sie sich und schob sich errötend in die hinteren Reihen. Der Philosoph war etwas irritiert.
    »Das ist wirklich komisch«, ließ sich der erste Besucher wieder vernehmen, »und das ist nun nicht nur einem so gegangen, sondern Millionen haben jahrtausendelang auf einen Herrn eingeredet, der gar nicht im Zimmer war und auch weder darinnen sein noch hinauslaufen konnte, weil es ihn überhaupt nicht gab.«



 
     
     
     

»Aber zum Teufel…«, begehrte Herr Mullerowitsch auf.
    »Ja, um jetzt zum Teufel zu kommen, der war nichts anderes als die faule Ausrede Gottes«, warf der Philosoph im Hinausgehen hin.
    Einer der Nachdrängenden stieß unversehens an eine Vitrine, in der das Wort Vorsehung ruhte.
    »Vorsehen!« warnte der Philosoph.
    Wir folgten etwas konsterniert, so daß wir die anschließenden Kabinette, durch die wir ohne ein weiteres Wort der Erklärung geführt wurden, nur mit halber Aufmerksamkeit betrachteten. Da war das Kabinett »Wirtschaft und Ökonomie«, in welchem sich Wörter wie werktätiger Einzelbauer, Devisenmangel, Prämie und Normenschaukel befanden; oder Wörter wie Diplomatie, Sektierer, Paßbild, Revisionist, Volksmasse und Selbstgefälligkeit, die sich im Kabinett »Politik und Geschichte« befanden und wo ein Glasbehälter in Form einer Käseglocke besonders auffiel, unter dem das Wort NATO aufgebahrt war.
    Unser nicht mehr ganz so freundlicher Herr geleitete uns jetzt in das Kabinett »Korrelative Begriffe«, in dem sich solche Wörter wie Armut und Reichtum, Arbeiter und Intelligenz, vornehm und ordinär, Überheblichkeit und Bescheidenheit befanden, die jeweils paarweise in einer Vitrine ausgestellt waren. Auf einen Wink unseres Führers nahmen wir vor einer Vitrine Aufstellung, in der das Wort Krieg und das Wort Frieden ruhten.
    »Das Wort Krieg«, las der Führer die Aufschrift der Tafel mit klarer Stimme vor, damit auch die in den hinteren Reihen es deutlich hören konnten, »das Wort Krieg bedeutet, daß sich die Menschen massenweise gegenseitig abschlachteten, ohne sich vorher verzankt zu haben, was auch gar nicht möglich war, da sie vor Kampfbeginn keine persönliche Berührung miteinander gehabt hatten. Das Wort Krieg wurde auf einstimmigen Beschluß aller Menschen abgeschafft.«
    Eine geraume Zeit herrschte nachdenkliches Schweigen. Schließlich meldete sich der erste Besucher noch einmal zu Wort: »Warum aber ist das Wort Frieden auch abgeschafft worden?«
    »Was soll es noch! Seitdem wir ihn haben, spricht keiner mehr davon. Das gleiche ist mit den
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