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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
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verkehrt, nämlich von hinten. Das ist mir, nebenbei, auch einige Male widerfahren. Ein scheußliches Gefühl, kann ich nur sagen. Kurzum: Wir Fragen leiden, wie alle Geschöpfe des menschlichen Geistes, unter dessen Gebrechen, nicht zuletzt unter der Sprachverschandlung. Am schmerzlichsten aber leiden wir darunter, daß wir verkehrt gestellt werden, nicht sachlich, sondern als Gretchenfrage. Sozusagen als das Bein, über das einer stolpern soll. Dagegen ist das richtige Stellen einer Frage geradezu eine Kunst. Daher sollte uns mehr öffentliche Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Frage ist nun einmal das edelste Produkt des Menschengeistes, weil das produktivste. Ich sage das ohne alle Überhebung. Am Anfang stand nun einmal nicht das Wort und auch nicht die Tat, am Anfang stand die Frage. Doch jetzt wieder zu meinem Dicken.



 
     
     
     

Die Verbindung meiner Wenigkeit mit der Frage der kollektiven Leitung hatte den Mann endlich zur Einsicht gebracht, und man ließ mich fallen. Bevor ich wieder aufgegriffen wurde, machte ich mich schleunigst davon, um unversehens in eine philosophische Diskussion zu geraten. Das hatte mir noch gefehlt. Doch ich wurde angenehm enttäuscht. Ich war noch gar nicht richtig Thema, da stand einer auf und nannte die Frage der Bescheidenheit einen elenden Wechselbalg. Mich einen Wechselbalg! Das tat mir ungemein wohl, denn ich ahnte, daß es mir jetzt an den Kragen ging. Und ich hatte mich nicht geirrt. Eine Klasse, fuhr der Philosoph fort, die angetreten ist, eine Welt zu gewinnen, ist alles andere als bescheiden. Wie kann man da von den Angehörigen dieser Klasse Bescheidenheit fordern. Das ist geradezu schizophren und überdies unerfüllbar. Bescheidene Weltveränderer sind ein Unding. Wer sich bescheidet, will heißen: schön brav ist, der ist für die Welt verloren; der Weltmensch hingegen ist nicht brav zu kriegen. Womit die Frage der Bescheidenheit ein für allemal abgetan ist.
    Mit diesen Worten hätte ich eigentlich meine Seele aushauchen müssen, denn der respektlose Bursche hatte mich gelöst. Aber leider nur er, alle übrigen hingegen plädierten jetzt nur noch eifriger für die Bescheidenheit und machten sie, wohl um den respektlosen Burschen einzuschüchtern, zu einer grundsätzlichen Frage, um diese, also mich, auf die nächste Sitzung zu verschieben.
    Nun, da ich, im Grunde eigentlich gelöst, eine grundsätzliche Frage geworden bin – und ich werde den Verdacht nicht los, daß Fragen vorzüglich dann zu grundsätzlichen Fragen erhoben werden, wenn sie im Grunde gelöst sind, aber als ungelöste benötigt werden –, nun also, da ich auf meine alten Tage noch diese Ehrung erfahren habe, werde ich wohl noch ein Weilchen auf dieser Welt verbleiben müssen. Der respektlose Bursche aber hat mir Mut gemacht. Der Weltmensch ist unaufhaltsam. Und so sehe ich meinem sicheren Ende mit freudiger Erwartung entgegen, oder soll ich sagen: mit dialektischer Geduld?

Der negative Erfolg
     
    Wir hatten uns Jahre nicht mehr gesehen. Weshalb auch? Ich hatte ihn nie richtig gemocht, und er hielt mich immer für einen, der was Besonderes sein wollte. War er inzwischen etwas Besonderes geworden und wollte es mir nun beweisen? Sein Anruf ließ das vermuten. Er tat ziemlich geheimnisvoll mit seiner Einladung. Es handele sich um Experimente, deren Ergebnisse mich als Schriftsteller gewiß interessieren würden. Mehr könne er am Telefon nicht sagen, da die Sache absolut vertraulich behandelt werden müsse. Aber wenn ich ihn in seinem Institut besuche, könne ich erstaunliche Dinge erfahren. Mir als altem Freund werde er alles offenbaren. Alte Freunde waren wir, wie gesagt, nie gewesen. Wir hatten an der Universität in einer Mannschaft Volleyball gespielt, wobei er mir mehr mit Neid als mit Freundschaft begegnet war, denn er gehörte nicht gerade zu den sportlichen Figuren. Und im Studium war er auch keine Glanznummer, was ich allerdings nur vom Hörensagen wußte, da er Biologie belegte, während ich Philosophie studierte. Nach dem Examen hatten wir uns, solange wir beide Assistenten an der Universität waren, noch hin und wieder getroffen und ein paar Worte miteinander gewechselt, aber dann war es auch damit zu Ende. Wie ich erfuhr, spezialisierte er sich auf Hormone und war an ein neu eingerichtetes Institut gegangen. Den Namen des Ortes, wo das Institut sein sollte, hatte ich bis dahin nie gehört.
    Der Ort war ein Dorf. Von einem Institut weit und breit nichts zu sehen. Ich hatte der
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