Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
Vom Netzwerk:
die wirkliche historische Logik als Maßstab unterstellen. Und da kann sie sich auf die reale Zukunftsliteratur beziehen, die als einzige diesen Maßstab nicht nur unterstellt, sondern ihn (mehr oder weniger) enthält. Und natürlich gibt es Mischformen, Kombinationen mehrerer oder aller sechs Typen. So kann beispielsweise phantastische gesellschaftliche Utopie Verstellung realer gesellschaftlicher Utopie, zauberhafte Verkleidung des Glaubhaften sein. Diese Mischform unterscheidet sich vom reinen Typus der phantastischen gesellschaftlichen Utopie dadurch, daß sie das historische Maß nicht nur unterstellt, sondern es (wenn auch verstellt) enthält.
    Zum vierten: Ist Literatur nur insoweit Utopie, inwieweit sie das morgen Mögliche oder das Unmögliche als Wirklichkeit darstellt? Um das Mögliche zu erreichen, muß man das Unmögliche wollen. Das heute Unmögliche oder das niemals Mögliche. Wenn nicht der Mensch fliegen wollte wie der Vogel, was niemals möglich ist, hätte es keinen Lilienthal gegeben und keinen Gagarin, kein Flugzeug und keinen Sputnik. Wenn nicht der Mensch das morgen Mögliche schon heute verwirklichen wollte, was unmöglich ist, würde er das heute Mögliche nicht verwirklichen, würde er unter den Möglichkeiten bleiben. Das produktive Träumen, die vorauseilende Phantasie verleihen dem Menschen die emotionale Kraft, die notwendig ist für den Kampf um die Verwirklichung des Möglichen. Diese notwendige Kraft muß alle Literatur mitteilen. Folglich ist alle Literatur Utopie. Und die beste Literatur ist das beste Beispiel dafür: die »Odyssee«, der »Don Quichote«, der »Faust«.
    Zum fünften: Das Spiel mit der Wirklichkeit ist die höchste Form ihrer Aneignung. Als das ist das Spiel eine Grundsehnsucht des Menschen. Die Verwirklichung dieser Sehnsucht ist jedoch historisch bedingt und daher niemals vollendet. Sie ist letztlich eine Utopie. Die Literatur befähigt den Menschen zur Aneignung von Wirklichkeit aber nicht, indem sie niedere Formen nachahmt, sondern die höchste vorahmt (die Darstellung niederer oder negativer Formen hat Sinn nur als »umgekehrtes« Beispiel). Mithin hat alle Literatur die generelle Funktion, Vorahmung des Spiels mit der Wirklichkeit zu sein. Und wenn die utopische Literatur das Spiel etwas weiter treibt, erfüllt sie auf ihre Weise nur die generelle Funktion aller Literatur.
    Alle Literatur ist Utopie: echte oder schlechte. Die utopische Literatur macht nur die eine oder die andere zu ihrem Spezifikum.

Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher