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Mein wirst du sein

Mein wirst du sein

Titel: Mein wirst du sein
Autoren: Katrin Rodeit
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Prolog
    Er blickte in ihre starren Augen, die ihn aus dem toten Gesicht wie anklagend ansahen, streichelte über ihr glänzendes Haar, die seidigen Wangen hinunter bis zu ihrem Hals. Sie saß auf seinem Schoß. Er hatte die Arme um sie gelegt und sah sie bewundernd an.
    In diesem Moment gehörte sie ihm. Nur ihm.
    Er konnte sich an ihr nicht sattsehen, denn inzwischen waren nur Reinheit und kindliche Unschuld geblieben, die ihrer Schönheit ein beinahe madonnenhaftes Aussehen verliehen. Am Ende hatte er den längeren Atem behalten.
    Er lachte in sich hinein, als ihm die Doppeldeutigkeit dieser Worte bewusst wurde.
    Dann küsste er sie zärtlich auf die Lippen, die mittlerweile blau und kalt geworden waren. Es störte ihn nicht.
    Für einen Moment spürte er wieder den Hass in sich aufwallen, als er sich erinnerte, wie sie ihn kokett angelächelt und dann das Gesicht zur Seite gedreht hatte. Für sie war er nichts weiter als ein Zeitvertreib in einem langweiligen Leben gewesen. Sie hatte ihn zurückgewiesen, ein Spiel mit ihm gespielt.
    Nun hatte es sich ausgespielt. Er hatte den Zorn über die erneute Zurückweisung gefühlt. Stärker als je zuvor, eine nie geahnte Kraft. Er hatte diesen Mund, der ihn verhöhnt hatte, zum Schweigen bringen müssen. Nicht nur mit Worten, auch ihr Blick hatte ihn ausgelacht. Und er hatte es nicht mehr ertragen, so behandelt zu werden.
    Seine Hände hatten sich wie von selbst um ihren Hals gelegt. Er hatte mit ansehen können, wie das hämische Lachen von ihren Lippen verschwunden war und Angst sich ihrer bemächtigt hatte, und er hatte nicht aufhören können. Wie von Sinnen hatte er zugedrückt, bis es ein Ende gefunden hatte.
    Eine Ewigkeit, so schien es ihm, verweilte er in dieser Haltung, den toten Körper auf seinem Schoß. Immer wieder strich er über die weiche Haut und das seidige Haar.
    Er seufzte auf, es musste irgendwann vorbei sein. Einen letzten Blick warf er auf das Mädchen, sog jede Einzelheit ihres Aussehens in sich auf und versuchte, ihren Anblick für die Ewigkeit in seinem Gedächtnis zu konservieren.
    Nie wieder, so schwor er sich mit zusammengebissenen Zähnen, würde er sich von einem Mädchen zum Narren halten lassen.
    Mit diesem Eid auf den Lippen gab er sie frei und warf einen letzten Blick auf ihr Gesicht, ehe er sich umwandte und ging.

14 Jahre später

Montag
    Wenn ich damals geahnt hätte, wie der heutige Tag mein Leben durcheinanderbringen, geradezu aufwirbeln würde, wäre ich im Bett geblieben. Hätte das bohrende Klingeln ignoriert und mir, statt fluchend nach dem Hörer zu suchen, die Bettdecke über die Ohren gezogen und mich tot gestellt wie ein Opossum.
    Aber natürlich wusste ich nicht, was kommen würde. Wie auch? Ich hatte keine Ahnung, dass ich drauf und dran sein würde, den letzten Atemzug zu tun, und nicht die geringste Idee davon, dass Männer auftauchen sollten, die mein Privatleben in seinen Grundfesten erschüttern würden.
    Stattdessen streckte ich nichtsahnend die Hand unter der Bettdecke in die Richtung aus, in der ich das Telefon vermutete, und fegte dabei den Wecker vom Nachttisch, der sich mit einem ohrenbetäubenden Klingeln beschwerte und erst Ruhe gab, als ich ihm einen Schlag versetzte.
    Das Telefon läutete noch immer. Nachhaltig und grauenvoll hörte ich das Echo wie Donnerschläge in meinem Inneren widerhallen.
    Langsam setzte ich mich auf und hielt mir die Hand gegen den pochenden Schädel. Als ich den Lichtschalter drückte, schloss ich die schmerzenden Augen in dem hellen Licht meiner Nachttischlampe. War es schon immer so grausam kalt und gleißend gewesen? Dann endlich hatte ich es geschafft und hielt den Hörer in Händen. Es war eine Wohltat, als das Gebimmel endlich verstummte.
    »Jule? Ich brauche dich hier.« Die Stimme klang schrill und war hysterisch laut, und für einen Moment fragte ich mich, ob das Klingeln nicht leichter zu ertragen gewesen wäre als das Gekreische, das aus dem Hörer kam.
    Ich stöhnte und hielt mir den Kopf. Wie hatte es nur so weit kommen können?
    Als ich die Augen öffnete, die ich bis dahin eisern geschlossen gehalten hatte, fiel mein Blick auf das rote, bodenlange Kleid, das ich am gestrigen Abend getragen hatte. Es war von schlichter Eleganz, ohne Rüschen oder Abnäher, dafür mit raffiniert weitem Rückenausschnitt und atemberaubend schön.
    Die Erinnerung an letzte Nacht kämpfte sich mühsam durch den Nebel zurück.
    »Jule? Bist du da?« Ängstliches Gewinsel. Noch immer in
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