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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
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die Knie und kroch zu den Tagedieben. Doch die lagen in der Mittagssonne und schnarchten. Er rutschte weiter zu den Bürokraten. Doch die riefen ihm entgegen: ›Erst die Fingerabdrücke her!‹ Da schleifte er sich zu den praktischen Idealisten. ›Wir können noch eine Arbeitsentschließung verfassen‹, schlugen sie ihm vor. Er krauchte zu den Existentialisten. ›Die Vertikale ist das Geheimnis der Bewegung‹, räsonierten diese. Die Ellenbogen zu Hilfe nehmend, schleppte er sich zum Kardinal. Als der Kardinal den Kapitalisten am Boden sah, verlor er den Glauben an seine Berufung und schob die Hände in die Taschen. Damit brach er seine Laufbahn gerade in dem Augenblick ab, da ihm zum ersten Male die Gelegenheit geboten wurde, einen Kapitalisten zu bekehren, denn der ehrenwerte Magnus Err war so zerrüttet, daß es ein leichtes gewesen wäre, ihn von der Existenz Gottes zu überzeugen. Doch der brave Gottesmann hatte nun einmal beschlossen, die göttlichen Geschäfte an den Nagel zu hängen, mochte Gott existieren oder nicht. Er für sein Teil wollte ungeachtet seiner alten Tage einen neuen Weg einschlagen und sein Leben fortan nützlicher Arbeit widmen. Damit aber war der erste aus der Bahn seines bisherigen Lebens ausgebrochen. Nach und nach schlossen sich ihm die anderen an. Denn auch den Existentialisten und den Tagedieben, den praktischen Idealisten und den Individualisten, den Bürokraten und den übrigen Spezies hatte der Hunger mit sicherer Hand den Verstand geführt. Als er mit hartem Knöchel an ihre Gehirnkästen klopfte, warfen sie ihr bisheriges Tun von sich und assoziierten sich zu gemeinsamer Arbeit. Nach kurzer Frist schloß sich auch der Kapitalist an, und seitdem«, schloß der Vergilbte seinen Bericht, »wird fast jeden Tag eine Reihe dieser Leute als geheilt entlassen.«
    Der junge Astrometer griff sich an den Kopf und blickte um sich, als wenn er aus einem schweren Traum erwacht wäre. »Wie lange«, fragte er, nachdem er lange Zeit geschwiegen hatte, »dauert der Heilungsprozeß in diesem gottlosen Fegefeuer?«
    »Bei manchen geht es verhältnismäßig schnell. Die Sinnesverwirrungen, unter denen die Bewohner dieses Planeten leiden, sind ja nicht pathologisch, sondern soziologisch verursacht und daher unter bestimmten Bedingungen ohne weiteres zu beseitigen. Allerdings müssen die Geheilten noch einige Zeit unter Beobachtung bleiben. Einige halten sich auch noch nach ihrer Heilung aus freien Stücken hier auf.«
    »Ihre Geschichte hat mich sehr beeindruckt«, bekannte Roland Ell, »jedoch kann ich mich noch nicht entschließen, in ihr das Geheimnis der Weltgeschichte zu erblicken. Ich hoffe, daß ich hiermit die Frage gestellt habe, zu der Sie mich im Falle meiner Zurückhaltung aufgefordert hätten.«
    »Ich stelle fest«, lächelte der Vergilbte, »daß Sie in verhältnismäßig kurzer Zeit die einzig menschenwürdige Art der Unterhaltung erlernt haben, die darin besteht, den Verstand des anderen zum logischen Bestandteil des eigenen Denkens zu machen. Ihre Frage trifft genau meine Antwort. Und diese besteht in folgendem: Aus dem Ablauf der Dinge auf diesem Planeten geht eindeutig hervor, daß die Bürokraten und die Theisten, die Tagediebe und die Kapitalisten nicht ohne den Arbeiter auskommen können und aufhören mußten, Schmarotzer zu sein, als ihnen die Arbeiter fehlten, wie es keine Faulheit ohne Fleiß, keine Ruhe ohne Bewegung, keinen Zufall ohne Notwendigkeit, keinen Irrtum ohne Wahrheit, kein Schweigen ohne Rede, keinen Eremiten ohne Gesellschaft gibt. Ohne das Normale kann das Abnorme nicht existieren. Das Sprichwort, daß keine Regel ohne Ausnahme existiert, muß also durch die Erkenntnis ergänzt werden, daß es keine Ausnahme ohne Regel gibt!«
    »Interessant daran erscheint mir«, warf der Astrometer ein, »daß man diese Abhängigkeit der Ausnahme von der Regel erst begreift, wenn die Ausnahme ohne die Regel auskommen soll.«
    »Auf diese Feststellung kommt es an. Der Zusammenhang wird erst dann sichtbar, wenn man ihn aufhebt. Indem die Analyse tötet, weil sie den Zusammenhang stört, weist sie den Zusammenhang als die Bedingung des Lebens nach. Unser Planet spielt den Analysator der Weltgeschichte.«
    »Ich danke Ihnen für Ihre Aufklärung«, sagte der Astrometer, und er erhob sich, um seine Glieder zu recken. Er hatte in der Anstrengung des Gehirns vergessen, für den Körper zu sorgen. Der Vergilbte warf einen Stein in die Krone des nächststehenden Baumes. Die
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