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Der negative Erfolg

Der negative Erfolg

Titel: Der negative Erfolg
Autoren: Gerhard Branstner
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Sachkenntnis verfolgen kannst. Unser Institut ist auf Mnemotechnik spezialisiert. Wir arbeiten daran, das menschliche Gedächtnis zu verbessern. Zunächst waren wir darauf aus, Mittel zu finden, die das Lernen erleichtern, damit beispielsweise ein Schauspieler seinen Text schneller und sicherer intus hat. Wir mußten aber bald feststellen, daß wir da nicht weit kommen. Also haben wir es umgekehrt versucht. Statt das Aufnehmen künstlich zu erleichtern, wenden wir jetzt Mittel an, die das vom Gedächtnis auf natürliche Weise bereits Aufgenommene aus der Versenkung heben. Ist dir das populär genug?«
    »Ich glaube schon.« Ich steckte mir eine Zigarette an und rekelte mich im Sessel zurecht. »Und ich vermute, daß ihr auch auf diesem Wege nicht allzu weit gekommen seid.«
    »Im Gegenteil, wir sind zu weit gekommen. Es hat eine Art Grenzüberschreitung stattgefunden.«
    »Welche Grenze habt ihr überschritten?«
    »Nicht wir, die Versuchspersonen überschreiten die Grenze.«
    »Und was für eine Grenze ist das?« fragte ich abermals.
    »Wir haben keinen Begriff dafür.« Er schenkte sich einen neuen Kognak ein. »Es ist eine Art von Identitätsverlust: die Versuchsperson überschreitet im Verlaufe des Experiments die Grenze vom Ich zum Anti-Ich.«
    »Und wie sieht das Anti-Ich aus?«
    »Das werden wir wohl nie erfahren. Die Testpersonen verweigern jede konkrete Aussage. Wir können es nur deduktiv definieren, indem wir vom Gesetz der Anpassung ausgehen. Jeder Mensch muß mit der Umwelt und mit sich selber zurechtkommen. Diesem Zwecke paßt er sein Gedächtnis an: bestimmte Dinge merkt er sich, andere vergißt er.«
    »Oder er verdrängt sie.«
    »Jedenfalls ist dieser Vorgang eine Naturnotwendigkeit, er macht den Menschen lebensfähig. Wenn wir alles in Erinnerung behalten würden, vor allem die mit peinlichen Erlebnissen verbundenen Gefühle, gingen wir unweigerlich zugrunde. Andrerseits speichern wir viele nützliche Informationen, können sie aber nicht ohne weiteres abrufen. Diese Unvollkommenheit der Natur zu beheben ist das Ziel unserer Arbeit. Wir aktivieren bestimmte Hormone, wodurch die gedächtnisrelevanten Gehirnzellen erregt werden und ihre Inhalte zum Bewußtsein bringen.«
    Jetzt brauchte ich einen zweiten Kognak, denn ich begann zu begreifen. »Auf diese Weise kommen auch die unerwünschten Gedächtnisinhalte zum Bewußtsein?«
    »Das ist unser Problem«, gestand er. »Es ist uns noch nicht möglich, gezielt zu aktivieren. Wir können nicht einmal vor langer Zeit gespeicherte Erinnerungen von frisch gespeicherten trennen, und schon gar nicht unangenehme von angenehmen: alles kommt mit einemmal hoch.«
    Ich hatte einen dritten Kognak nötig. »Alles mit einemmal?«
    »Ich habe mich nicht ganz exakt ausgedrückt. Je tiefer etwas gespeichert ist, desto später kommt es hoch, soviel wissen wir. Und daß darunter viel Unangenehmes ist, können wir an den Gesichtern der Testpersonen ablesen.«



 
     
     

Eben da betraten die beiden Memoirenautoren den Versuchsraum. Die Assistentin bot den Herren Platz an. Dann reichte sie jedem ein Glas, in dem sich eine gelbe Flüssigkeit befand, die sie brav tranken. Jetzt wurden sie an eine verwirrende Vielzahl von Drähten angeschlossen und über den Verlauf des Experiments unterrichtet. Jedenfalls nahm ich das an, denn hören konnte ich nichts. Die beiden Herren nickten wiederholt, machten aber nicht gerade geistreiche Gesichter. Mein alter Freund setzte die Filmkamera in Betrieb.
    »Natürlich«, sagte er. »können die Versuchspersonen das Experiment jederzeit abbrechen. Sie brauchen nur auf die am Tisch angebrachte Taste zu drücken.«
    Indessen hatte die Aktivierung begonnen, und beide Herren kritzelten eifrig Notizen auf das mitgebrachte Papier. Ihr Eifer ließ jedoch schnell nach; sie machten erstaunte Gesichter und vergaßen das Schreiben. Jetzt warf der eine den Stift wütend auf den Tisch und zuckte mit der Hand zur Taste. Im gleichen Augenblick warf der andere den Stift auf den Tisch, worauf der erste die Hand zurückzog und wieder nach dem Stift griff.
    »Das ist der Vorteil, wenn mehrere Personen getestet werden«, sagte er, »da will keiner der erste sein, der aufgibt.«
    »Jedenfalls«, sagte ich, »scheint Sigmund Freud nicht recht zu haben, wenn er das Bewußtmachen verdrängter Erinnerungen als nützlich ansieht.«
    »Manchem mag das helfen«, meinte er, »aber das ist die Ausnahme; bei normalen Menschen bewirkt es das Gegenteil.«
    Die beiden
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