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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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sprengen. Verstehst du, warum diese Kommission von Oberst Dantas Barreto die Häuser gezählt hat?«
    Den ganzen Vormittag über waren sie in Rauch und Gestank herumgegangen und hatten herausgebracht, daß es in Canudos fünftausendzweihundert Häuser gab.
    »Sie haben sich vertan, und die Rechnung geht nicht auf«, spottet Leutnant Soares. »Sie haben fünf Personen pro Haus gerechnet. Das macht dreißigtausend Jagunços. Aber die Kommission von Oberst Dantas Barreto hat nur 647 Leichen gefunden.«
    »Weil er nur die ganzen Leichen gezählt hat«, brummt Oberst Macedo. »Fleischklumpen und Knochen hat er übersehen, unddas waren die meisten. Nun ja, jedem Tierchen sein Pläsierchen.«
    Im Lager erwartet Oberst Geraldo Macedo ein Drama, eines der vielen, die sich während des Aufenthalts der Bahianer Polizei im Kreis von Canudos abgespielt haben. Die Offiziere versuchen die Männer zu beruhigen, sie befehlen ihnen, auseinanderzugehen und nicht mehr über die Sache zu sprechen. Im ganzen Lager haben sie Wachen aufgestellt, weil sie fürchten, in ihrer Wut könnten die Bahianer Polizisten hingehen und den Provokateuren geben, was sie verdienen. An dem Zorn, der sich in ihren Augen staut, an den verzerrten Mienen seiner Männer sieht Oberst Macedo, daß der Zwischenfall einer von den schweren sein muß. Aber ehe er sich irgendeine Erklärung anhört, schnauzt er seine Offiziere an.
    »Das heißt, daß meine Befehle nicht befolgt werden? Das heißt, Sie lassen es zu, daß die Leute anfangen zu raufen, statt nach dem Banditen zu suchen? Habe ich nicht gesagt, Streitigkeiten sollen vermieden werden?«
    Aber seine Befehle sind strengstens eingehalten worden. Gruppen der Polizei von Bahia patroullierten durch Canudos, bis sie zurückbeordert wurden, weil die Schanzarbeiter in Aktion treten sollten. Und der Zwischenfall ereignete sich ausgerechnet mit einer der Gruppen, die den Auftrag hatten, nach João Abades Leiche zu suchen, drei Bahianern, die entlang den Barrikaden zwischen dem Friedhof und den Kirchen zu einer Senke gingen, die früher einmal ein Bach oder ein Nebenfluß des Vaza Barris war und jetzt ein Lager ist, in dem Gefangene gehalten werden, ein paar hundert Leute, fast ausschließlich Frauen und Kinder, denn die Männer, die bei ihnen waren, sind schon abgeschlachtet worden von dem Trupp des Fähnrichs Maranhão, von dem es heißt, er habe sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet, weil die Jagunços vor ein paar Monaten seine Kompanie in einen Hinterhalt gelockt und ihm von seinen fünfzig Mann nur acht übriggelassen hätten. Die Bahianer Polizisten gingen zu den Gefangenen und fragten, ob sie etwas über João Abade wüßten, und einer von den dreien erkannte in einer Gefangenen eine Verwandte aus dem Dorf Mirangaba. Als ihn Fähnrich Maranhão eine Jagunça umarmen sah, begann er ihn zu beschimpfen, und da hätte man ja den Beweis,sagte er, daß die Polizisten des Räuber-Jägers, auch wenn sie republikanische Uniformen trügen, im Grunde ihres Herzens Verräter seien. Und als der Polizist zu protestieren versuchte, streckte ihn der Fähnrich in einem Anfall von Wut mit einem Fausthieb zu Boden. Er und seine zwei Kameraden wurden gehetzt von den Gauchos des Fähnrichs, die ihnen noch von weitem »Jagunços!« nachschrien. Zitternd vor Wut kamen sie im Lager an und machten ihre Kameraden rebellisch, die nun seit einer Stunde murren und sich für diese Beleidigung revanchieren wollen. Es war, was Oberst Geraldo Macedo erwartet hatte: ein Zwischenfall wie zwanzig oder dreißig andere, die sich aus gleichem Anlaß und fast mit denselben Worten abgespielt hatten.
    Aber anders als sonst, wenn er seine Leute beruhigt oder allenfalls bei General Barboza, dem Chef der Ersten Kolonne, oder, wenn er die Angelegenheit als besonders ernst betrachtet, bei dem Oberkommandierenden der Expeditionsstreitkräfte, General Artur Oscar persönlich, Beschwerde einlegt, spürt Oberst Geraldo Macedo diesmal ein seltsames, symptomatisches Prickeln, eine dieser Vorahnungen, denen er sein Leben und seine Tressen verdankt.
    »Dieser Maranhão ist kein Typ, der Respekt verdient«, sagt er, sich rasch den Goldzahn leckend. »Ganze Nächte lang Gefangenen die Kehle durchzuschneiden ist doch keine Aufgabe für einen Soldaten, eher für einen Metzger. Finden Sie nicht?« Seine Offiziere bleiben still, sehen sich an, und während er spricht und sich den Goldzahn leckt, registriert Oberst Macedo Überraschung, Neugier, Befriedigung auf den
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