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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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der Zwerg, welche der Schwestern gesprochen hatte: Antônia.
    »Nie«, gab sie zu, ohne ihren Groll zu verbergen. »Und jetzt noch weniger. Jetzt, wo ich weiß, daß er nicht als João Abade, sondern als João Satanás geendet hat. Als der, der getötet hat, um zu töten, geraubt, um zu rauben, dem es Freude gemacht hat, andere leiden zu sehen.«
    Ein drückendes Schweigen entstand, und der Zwerg fühlte, daß der Kurzsichtige erschrocken war. Gespannt wartete er.
    »Das will ich dich nie wieder sagen hören«, sagte Antônio Vilanova leise, ganz langsam. »Du bist meine Frau seit vielen Jahren, seit immer. Alles haben wir gemeinsam erlebt. Aber wenn ich dich das noch einmal sagen höre, ist alles aus. Auch mit dir.«
    Zitternd, schwitzend, die Sekunden zählend, wartete der Zwerg.
    »Ich schwöre beim guten Jesus, daß ich es nie wieder sagen werde«, stotterte Antônia Sardelinha.
    »Ich habe João Abade weinen sehen«, sagte der Zwerg. Er hatte das Gesicht an Juremas Brust gedrückt, die Zähne schlugen ihm aufeinander, und die Worte kamen verkrampft,wie gekaut aus seinem Mund. »Erinnert ihr euch nicht? Habe ich es euch nicht gesagt? Als er die schreckliche und beispielhafte Geschichte von Robert dem Teufel hörte.«
    »Er war der Sohn eines Königs, und seine Mutter hatte schon weißes Haar, als er geboren wurde«, erinnerte sich João Abade.
    »Daß er geboren wurde, war ein Wunder, wenn man Teufelswerk als Wunder bezeichnen kann. Sie hatte einen Pakt geschlossen, damit ihr ein Sohn geboren würde. So fängt es doch an?«
    »Nein«, sagte der Zwerg mit einer Bestimmtheit, die aus lebenslangem Erzählen dieser Geschichte kam, von der er längst nicht mehr wußte, wo er sie gelernt hatte, die er in die Dörfer gebracht und wieder mitgenommen, die er Hunderte, Tausende von Malen erzählt und je nach Stimmung seines wechselnden Publikums verlängert oder verkürzt, lustiger oder dramatischer dargeboten hatte. »Seine Mutter war unfruchtbar und alt und mußte einen Pakt mit dem Teufel schließen, damit Robert geboren wurde, ja. Aber er war kein Königssohn, sondern Sohn eines Herzogs.«
    »Des Normannenherzogs«, pflichtete João Abade bei. »Erzähl schon.«
    »Hat er geweint?« hörte er wie aus einer anderen Welt die Stimme, die er so gut kannte, diese immer verschreckte und zugleich neugierige, redesüchtige, vorlaute Stimme. »Geweint bei der Geschichte von Robert dem Teufel?«
    Ja, er hatte geweint. Irgendwann, vielleicht bei den großen Blutbädern und Greueltaten, als Robert, besessen, getrieben vom Geist der Zerstörung, einer unsichtbaren Kraft gehorchend, der er nicht widerstehen konnte, einer Schwangeren das Jagdmesser in den Bauch stieß oder einem Neugeborenen die Kehle durchschnitt (»Was bedeutet, daß er aus dem Süden Brasiliens war, nicht aus dem Nordosten«, erläuterte der Zwerg) und Bauern aufspießte und Hütten in Brand steckte, in denen die Familien schliefen, irgendwann hatte der Zwerg bemerkt, daß ein Schimmer in den Augen des Straßenkommandanten war, ein Spiegel auf seinen Wangen, daß sein Kinn zitterte und seine Brust sich heftig hob und senkte. Verwirrt, eingeschüchtert schwieg der Zwerg – was hatte er falsch erzählt, was vergessen? – und blickte ängstlich zu Catarina,dieser Frau, die so mager war, daß sie keinen Platz einzunehmen schien in dem Kämmerchen in der Menino Jesus, in das João Abade ihn mitgenommen hatte. Catarina machte ihm Zeichen, er solle weitererzählen. Aber João Abade ließ ihn nicht.
    »War das, was er getan hat, seine Schuld?« sagte er, wie verwandelt. »War es seine Schuld, daß er so viele Grausamkeiten beging? Konnte er denn anders? Bezahlte er nicht die Schuld seiner Mutter? Wen mußte der Vater strafen für diese Untaten, ihn oder die Herzogin?« Voll fürchterlicher Angst starrte er dem Zwerg in die Augen: »Antworte, antworte!«
    »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht«, zitterte der Zwerg. »Das steht nicht in der Geschichte. Ich kann nichts dafür, tu mir nichts, ich bin nur der, der die Geschichte erzählt.«
    »Er tut dir nichts«, flüsterte die Frau, die wie ein Geist aussah.
    »Erzähl weiter, erzähl.«
    Er hatte weitererzählt und dabei gesehen, wie Catarina mit dem Rocksaum João Abade die Augen trocknete, wie sie vor ihm niederkniete und ihm über die Beine strich und den Kopf auf seine Knie legte, damit er sich nicht allein fühlte. Er weinte nicht mehr, rührte sich auch nicht mehr, noch unterbrach er ihn noch einmal bis zum
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